Ist es ein Zeichen von zunehmendem Leistungsdruck, dass auch die Träume von der Verabschiedung der Hierarchie und mit ihr der "traditionellen" Führungskräfte zunehmen? In meiner Wahrnehmung jedenfalls häufen sich die Verlautbarungen der Gattung romantische Management-Lyrik wieder. So beispielsweise vorgestern ein Artikel in HRM-Online unter dem Titel Top-Down hat ausgedient. Das Strickmuster dieser Veröffentlichungen ist meist ähnlich: Man nehme ein oder zwei Firmenbeispiele und ergänze diese durch ein klangvolles Statement eines Beraters. Der erwähnte Artikel soll ein Abgesang auf den Führungskräfteypus Alphatier sein. Kostprobe aus Beratermund: "Alphatiere haben in einer Netzwerkorganisation keinen Platz.......Netzwerkorganisationen dagegen treffen Entscheidungen dezentralisiert und bekämpfen Hierarchie systematisch...... Vorgesetzte (sind künftig) Unterstützer von Teams oder Vernetzer, die sich für schwierige Probleme entsprechende Ressourcen heranholen." Schöne dieser Text, nicht?
Ich habe viele Jahre meines Berufslebens in einem Maschinenbauunternehmen mit weltweit vierzehntausend Mitarbeitern zugebracht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man ein solches Unternehmen als Netzwerkorganisation betreiben könnte. Geschweige denn eine Großorganisation wie Siemens oder BASF.
Ganz abgesehen davon fehlt solchen Aussagen gewöhnlich jegliche Präzisierung, wie denn eine Netwerkorganisation konkret aussehen solle. Wer trifft beispielsweise die Entscheidungen und wer ist wofür verantwortlich? Zwei elementare Fragen, die - man möge es mir verzeihen - in einer unternehmerischen Organisation klar geregelt sein sollten. Helfen könnte auch ein gelassener Blick in die jüngere Geschichte der sogenannten Management-Lehren. Wer erinnert sich noch an die Empowerment-Bewegung in den neunziger Jahren? Obwohl durchaus fundiert und nachvollziehbar - auch ich war und bin einer ihrer Anhänger - wurde sie kaum wahrgenommen und schnell wieder vergessen. Oder an die Euphorie um sogenannte autonome Arbeitsgruppen in der Fertigung? Keiner dieser Bewegungen ist es gelungen Hierarchie "systematisch zu bekämpfen" geschweige denn sie nachhaltig zu reduzieren oder sie gar abzuschaffen.
Als Beleg für die Notwendigkeit der Veränderung von Führung kommt dann fast immer dasselbe Zitat - schon seit ca. zwanzig Jahren - so auch in diesem Artikel: "...die Mitarbeiter wissen oft besser wo es hakt und was sich ändern muss, weil sie näher dran sind." Wie wahr! Dieser Satz war der Kern der Empowerment-Botschaft. Natürlich sollen die Mitarbeiter das im Rahmen ihres Arbeitsgebietes notwendige entscheiden können ohne dass sie für jeden Schritt um Erlaubnis fragen müssen oder der Chef ihnen dauernd reinredet. Aber sollen und können sie deshalb auch bei der Entscheidung über einen Unternehmenszukauf oder eine Investition in eine neue Fertigungsanlage mitreden?
Organisationen und damit auch Unternehmen sind nicht vorstellbar ohne Hierarchien. Das sollte man zunächst in aller Nüchternheit akzeptieren. Aber dann muss man die Frage stellen, wie soll die Hierarchie gelebt werden? Betonen wir die Amtsautorität oder die personale Autorität? Wenn die persönliche Autorität im Vordergrund steht und nicht in Machtgehabe umschlägt, dann kann man auch ein Alphatier akzeptieren.
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