Sonntag, 24. Juni 2018

60 Milliarden Verlust durch Schlafdefizit

Eine typische Nachricht aus der postfaktischen Gesellschaft

Durch Schlafstörungen entstehen der deutschen Wirtschaft "Schätzungen zufolge" Produktionsausfälle in Höhe von 210 000 Fehltagen oder rund 60 Milliarden Euro. So stand es gestern im Mannheimer Morgen.
Es wäre wirklich interessant zu erfahren, wie eine derartige Zahl zustande kommt. 80% der Erwerbstätigen zwischen 35 und 65 Jahren klagen laut DAK-Gesundheitsbericht über Schlafstörungen. Wie wirkt sich das auf deren Arbeit aus? Empirisch seriös müsste man eine Kontrollgruppe von Ausgeschlafenen beobachten, die dieselbe Arbeit macht und dann die Ergebnisse vergleichen. Und das über einen längeren Zeitraum. Ich kenne kein Unternehmen, das im Rahmen seiner internen Fehleranalyse, so denn eine gemacht wird, nachfragt, wie der Verursacher in den Nächten davor geschlafen hat.
Dass es eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen mit Schlafstörungen gibt, ist sicher nicht abzustreiten. Dass diese in der Folge ihre Arbeit manchmal nicht optimal leisten, ist auch nachvollziehbar.
Doch was soll eine derartige Zahl? Den Betroffenen und auch den betroffenen Arbeitgebern nützt sie nichts. Hier muss in jedem Einzelfall individuell geholfen werden.
Aber vielleicht finden ja die Key-Figure-Fetischisten diese Zahl interessant. Sie könnten daraus eine Kennziffer für Zielvereinbarungen ableiten: Senkung der Ausfalltage in Folge von Schlafstörungen um x%.
Doch ehe es soweit kommt, nutzen sie das Wochenende und schlafen sie sich aus.

Mittwoch, 20. Juni 2018

Beurteilung durch Kollegen ist keine Alternative

Die Peer Group kann den Chef nicht ersetzen

Die klassische Leistungsbeurteilung kommt zunehmend in die Kritik. Das muss man zunächst positiv vermerken. Zu formalistisch, zu aufwendig und vor allem, zu selten, weil meist nur einmal im Jahr. Darüberhinaus findet Feedback kaum statt. Und wenn die Beurteilung noch mit einer Prämie verbunden ist, verliert sie vollends ihren Sinn. Dann ist die Tendenz zur positiven - und damit verzerrten  - Beurteilung noch ausgeprägter. Das alles habe ich hier schon oft diskutiert.
Als Alternative dazu wird immer wieder das Peer-Feedback propagiert, also das Feedback durch die Kollegen, die mit dem zu Beurteilenden zusammenarbeiten. Das müssen nicht notwendigerweise nur Mitglieder der eigenen Abteilung sein. Diese Form der Beurteilung ist gewissermaßen eine abgespeckte Form der 360° Beurteilung. Die sollte idealerweise auch Kunden, Lieferanten oder andere externe Bezugspersonen einbeziehen. Man muss nicht lange überlegen, um zu verstehen, dass sich diese Methode nicht durchgesetzt hat.
Aber auch das auf die Kollegen beschränkte Peer-Feedback ist keine Alternative zur Vorgesetztenbeurteilung.
Es ist die klassische Aufgabe des Vorgesetzten in seinem Verantwortungsbereich für einen erfolgreichen Beitrag zur Erreichung der Ziele der Organisation zu sorgen. Das umfaßt zwei Komponenten, die Vermittlung und Verteilung der Detailaufgaben an die Beschäftigten und die Sicherstellung des Outputs. Dafür trägt er die Verantwortung. Damit ist untrennbar das Feedback verbunden als Rückmeldung, wie etwas geklappt hat oder auch nicht. Das dafür formalisierte Beurteilungssysteme kaum geeignet sind, scheint sich langsam rumzusprechen. Feedback muss kontinuierlich und zeitnah erfolgen, gerade auch wenn es positiv ist.
Warum soll ausgerechnet einer der größten Kritikpunkte an der klassischen Leistungsbeurteilung, die in der Regel zu positive Bewertung, bei der Kollegenbeurteilung wegfallen? Es gibt Beispiele, in denen können sich die zu Beurteilenden die Gruppe der Kollegen, die ihnen Feedback geben soll, selbst zusammenstellen. Glaubt denn im Ernst jemand, dass dabei eine wirklich kritische Beurteilung rauskommen kann? Seriöserweise  können die Kollegen auch nur beurteilen, wie sie den anderen im Arbeitsprozeß erleben. Liefert er pünktlich? Verursacht er bei ihnen Nacharbeit? Ist sie hilfsbereit? Wie sieht es bei konfliktträchtigen Themen, wie Urlaubsplanung oder ähnlichem aus?
Der Beitrag, den der oder die Betreffende zum Abteilungsergebnis leistet, dürfte nur aus einem subjektiven Blickwinkel heraus beurteilt werden können und außerdem dadurch beeinflußt sein, wie der beurteilende Kollege den anderen im Vergleich zu seiner eigenen Leistung sieht. Wenn dann noch eine Konkurrenzsituation hinzukommt, dürfte es mit einer unvoreingenommenen Beurteilung schwer werden.
Ich will das Peer-Feedback hier nicht gänzlich in Abrede stellen. Wer damit experimentieren will, sollte es tun. Nur sollte klar sein, dass es die Führungskraft nicht aus ihrer Verpflichtung zum Feedback entlassen kann. Es kann die Vorgesetztenbeurteilung bestenfalls ergänzen.

Mittwoch, 13. Juni 2018

Nehmen Sie sich mal ein Beispiel !

Patchworkmutter, Managerin, immer online, oft sieben Termine am Tag.

Es gibt sie schon die schöne, neue Arbeitswelt. Kurz vor sechs steht Mutti auf, macht sich fertig, dann werden die Schulbrote geschmiert, die Schulranzen gepackt. mit den Kindern besprochen, was ansteht. Währenddessen werden parallel schon die Social-Media-Kanäle und Mails gecheckt und oft auch noch mal die Wäsche gemacht.
So jedenfalls hat die Powerfrau im Interview einer Online-Plattform ihren "normalen Morgen" beschrieben.
Im Büro angekommen wird dann als Erstes mit dem Team "gequatscht", "auf zwischenmenschlicher Ebene". Ihren Kalender beschreibt sie "als immer voll", mit selten weniger als sieben Termine pro Tag, manche Tage sind "komplett durchgetaktet." Manchmal arbeitet sie allerdings auch nur 20 Stunden in der Woche.
Nebenbei, die Dame arbeitet in der Unternehmenskommunikation eines internationalen IT-Unternehmens. Man muss kein ausgeprägt kritischer Geist sein, wenn man bei einer solchen Hochglanzpräsentation skeptisch wird. Es verwundert auch nicht, wenn das Interview außer Rosa-rot keine differenzierteren oder gar dunkleren Töne enthält.
Ich möchte in keiner Weise die persönliche Leistung der Dame anzweifeln. Ich kenne persönlich auch den ein oder anderen Powermenschen, der scheinbar mühelos eine Vielfalt von privaten und beruflichen Anforderungen unter einen Hut bringt.
Aber woher kommt dann die steigende Zahl von Burn-Out-Erkrankungen? Woher die Klagen über fast ständige Erreichbarkeit? Sind das alles Weicheier, die ihr Leben nicht den Griff kriegen?
Leider gibt das Interview keine Auskunft darüber, wie die Protagonistin es schafft, dieses Pensum so scheinbar locker zu bewältigen. Insbesondere dann, wenn es mal nicht so rund läuft, wenn die Kinder vielleicht quängeln oder plötzlich krank sind. Gibt es nicht vielleicht doch mal Momente der Erschöpfung? Oder darf man die nicht zeigen? Was würden denn die potentiellen Bewerber denken, wenn die Mitarbeiter des Unternehmens in den Social-Media-Kanälen übellaunig oder gar gestresst daher kämen?
Nur leider - oder soll man sagen, Gott sei Dank - wird das Bild von der schicken neuen Arbeitswelt mittlerweile immer wieder durch Einblicke in die alltägliche Realität getrübt. Wäre die Kollegin vielleicht nicht auch froh, wenn sie nicht schon morgens während des Schulbrotschmierens die Mails checken müsste? Kann man daran wirklich Freude haben? Oder ist das mittlerweile ein Statussymbol? Schaut her, ich bin wichtig und ich schaffe das!
Der Leistungsdruck wird mit dem Zuckerguß der vermeintlichen Freiheit: "Du kannst arbeiten wann und wo Du willst, Du mußt nur Dein Pensum schaffen" verziert. Nur ist dieses Pensum so ausgelegt, dass der Arbeitstag schon morgens zu Hause vor dem Frühstück anfängt.
Um so bedauerlicher ist es dann, dass durch derartige Veröffentlichungen der Leistngsdruck indirekt noch verstärkt wird. "Wenn die das kann, muss ich das auch schaffen..."
Bedauerlich ist auch, dass dieses Interview in der Online-Ausgabe einer Wochenzeitung erschienen ist, die sich ansonsten ihrer kritisch-differenzierten Berichterstattung rühmt.

Freitag, 8. Juni 2018

Wo wird denn noch über Raucherpausen diskutiert?

Die schöne neue Arbeitswelt ist noch weit entfernt.

Neulich in einer privaten Runde beklagte sich eine Dame - Raucherin - , dass sie immer mal wieder von ihrem Chef "angemacht" würde, weil sie sich nach seiner Meinung zu viele Raucherpausen gönnen würde. Sie schilderte dann glaubhaft, dass sie höchsten zweimal am Tag zum rauchen auf den Hof ginge, an manchen Tagen überhaupt nicht, da sie gar nicht dazu käme. Dann müssten zwei Zigaretten in der Mittagspause reichen.
Nun könnte man einen Vorgesetzten durchaus verstehen, der einen Mitarbeiter kritisch unter die Lupe nimmt, wenn dieser vielleicht zehnmal am Arbeitstag die Arbeit unterbricht, um zu rauchen. Aber warum sollte er dem Kollegen auf die Finger schauen? Wegen des Rauchens, weil er sich Sorgen um dessen Gesundheit macht? Das würde seiner Fürsorgepflicht entsprechen. In erster Linie aber doch wohl, weil er sich fragt, ob der Mitarbeiter sein Arbeitspensum schafft. Doch nicht wegen der Pausen als solcher. Wenn die Arbeit ordentlich erledigt wird, kann es ihm doch eigentlich egal sein, wie oft dabei geraucht wird.
Es ist erstaunlich, dass derartige Kontrollthemen immer noch einer Rolle spielen. Dass Führungskräfte immer noch glauben, wer sich lange im Büro oder am Arbeitsplatz aufhält, arbeitet auch viel.
Einerseits haben wir eine steigende Zahl von Home-Office-Arbeitsplätzen und beklagen die beruflich bedingte Beanspruchung durch moderne Kommunikationstechnologie, andererseits wird in vielen Unternehmen immer noch minutiös Arbeitszeit aufgezeichnet. Es gibt mittlerweile sogar Situationen, in denen die Mitarbeiter froh sind, dass ihre Arbeitszeit dokumentiert wird, da sie so nachweisen können, wieviele Überstunden sie geleistet haben.
In der Tat, die Funktion der Arbeitszeitkontrolle scheint sich umzukehren. Von der Kontrolle der Arbeitnehmer hin zur Kontrolle der Arbeitgeber.
Beides allerdings wird den immer wieder herbeigeschriebenen Verhältnissen in der schönen neuen Arbeitswelt nicht gerecht. Im übrigen auch nicht denjenigen, die schon lange in der auch nicht immer guten, alten Arbeitswelt geherrscht haben sollten.
Arbeitszeit ist kein Maß für Leistung. Andererseits bedingt die Menge an Arbeit aber die Zeit die wir mit ihrer Bewältigung verbringen.
In der zukünftigen Arbeitswelt muss die Frage, welches Arbeitsvolumen können die Beschäftigen in einem "zumutbaren" Zeitrahmen bewältigen, eine entscheidende Rolle spielen. Und wer könnte am besten die schwierige Diskussion um dieses "zumutbar" führen: die Tarifvertragsparteien.
Dann werden endlich die Kontrolle der Arbeitszeit und der ganze damit zusammenhängende Aufwand überflüssig werden.