Mittwoch, 30. August 2023

Neues aus der Welt des Fachkräftemangels

Wie wird man als Quereinsteiger "Flugsicherheitsassistent" an einem Flughafen?

Zunächst zur Information: Flugsicherheitsassistenten sind Menschen, die Sicherheitskontrollen bei Fluggästen durchführen, Gepäck durchleuchten, ggf. Pasagiere abtasten etc.
 
Msn bewirbt sich auf einem Stellenportal bei einer Firma, die derartige Kräfte beispielsweise für andere Sicherheitsfirmen rekrutiert und ausbildet. Man mus allerdings das Stellenangebot schon sehr genau lesen, um diesen Zusammenhang zu durchschauen. Menschen, die der deutschen (Schrift-)Sprache nicht so mächtig sind, merken das nicht auf Anhieb, wie ich aus eigener Erfahrung mit betroffenen Bewerberinnen weiß. Die Firma reagiert auf die Bewerbung sehr schnell, ruft zurück und teilt der Bewerberin, die sich in einem unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet, mit, sie müsse sich von ihrem Arbeitgeber kündigen lassen, damit sie dann die Ausbildung von der Agentur für Arbeit bezahlt bekomme.
D.h., die Bewerberin soll von ihrem Arbeitgeber verlangen, dass dieser das Arbeitsverhältnis kündigt, weil sie einen anderen Job anstrebt. Umgekehrt soll die Bewerberin einen ungekündigten Arbeitsplatz aufgeben, selbst für die Finanzierung der Ausbildung sorgen ohne sicher zu sein, ob sie die angestrebte Stelle dann auch tatsächlich bekommt.
Wenn man als Start-Up-Gründer mit einem derartigen Geschäftsmodell zu einer Bank ginge, um einen Kredit zu bekommen, würde man wegen ausgeprägter Naivität wahrscheinlich höflich zur Tür hinaus komplimentiert.
Dieses Vorgehen bedeutet, dass die an Flughäfen tätigen Sicherheitsfirmen sich die Ausbildung der Beschäftigten von den Versichertenbeiträgen der Agentur für Arbeit bezahlen lassen. Im Grunde optimieren sie ihr Ergebnis auf Kosten der Allgemeinheit. Und die Flughafenbetreiber, die ja meist im Besitz von Gebietskörperschaften (also auch der Allgemeinheit) sind, akzeptieren dieses Vorgehen und nutzen diese Dienstleistung. Bemerkenswert ist auch, dass die Agentur für Arbeit diese Praxis mitmacht.
Man sollte sich jedenfalls nicht allzusehr wundern, wenn an Flughäfen Sicherheitspersonal fehlt.

Montag, 28. August 2023

Was erwarten sie von diesem Seminar?

Das Seminar startet. Die Teilnehmer haben im Stuhlkreis die übliche Vorstellungsrunde absolviert, in der sich kaum jemand an die vorgebenen zwei Minuten gehalten hat. Dann verteilt der Moderator bunte Kärtchen und bittet die Teilnehmer einen Satz oder ein Stichwort zu der o.a. Frage aufzuschreiben. Die Teilnehmenden denken angestrengt nach und versuchen sich etwas sinnvoll klingendes aus den Eddingstiften zu saugen.

Dabei kann man sich die Frage eigentlich sparen. Erwarten die Teilnehmenden wirklich etwas von dem Seminar? Sie wurden in der Regel zu der Veranstaltung geschickt und manche hätten sich gewünscht, diese wäre ihnen erspart geblieben. Sie denken an die Arbeit, die im Büro liegen bleibt oder haben kein gesteigertes Interesse an der Thematik. Derjenige, der etwas von dem Seminar erwartet ist der Arbeitgeber, der die Leute hinschickt. Diese Erwartung muss kommuniziert werden.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: dies soll keine Polemik gegen Seminare sein. Aber eine Anregung an ModeratorInnen, auf angestaubte Rituale zu verzichten. Die Frage nach den Erwartungen muss nicht als zwanghafte Kärtchenabfrage laufen. Sie kann auch als offene Frage in die Runde gestellt werden. Wer etwas dazu sagen will, kann es tun.

Gleiches gilt für das beliebte Abschlußblitzlicht - Wie fanden sie das Seminar? was reihum beantwortet werden soll. Froh, dass es geschafft ist, wird krampfhaft nach vorwiegend positiv klingendem gesucht. Beliebt ist das Lob für die gute Organisation und die angenehme Location. Auch der oder die Moderatorin wird gerne gelobt - ob berechtigt oder nicht.

Was bringt das? Auch hier reicht die allgemeine Frage in die Runde. Wer etwas auf dem Herzen hat, kann das los werden.

 

 

 


Freitag, 18. August 2023

Zuviel Purpose behindert Change

Wenn ihre Organisation veränderungsfähig sein soll, dann verzichten sie auf Sinnstiftung

Stellen sie sich vor, sie haben ein Unternehmen, das Schnürsenkel herstellt. Ihre Beschäftigten kommen täglich hochmotiviert zur Arbeit, weil es ihnen gelungen ist, diese davon zu überzeugen, dass ohne Schnürsenkel kein menschliches Leben funktioniert. Schon morgens beim Schuhe anziehen wird jeder Mitarbeiterin klar, dass ohne ihre tägliche Arbeitsleistung der Tagesablauf kaum zu bewältigen wäre. Natürlich gibt es Schuhe ohne Schnürsenkel. Doch deren Einsatzfähigkeit ist begrenzt. Ihre Mitarbeiter haben verinnerlicht, dass viele Schuharten ohne Schnürsenkel nicht vorstellbar sind. Sie achten darauf, dass ihre Schnürsenkel nachhaltig produziert werden und ihre Leute können im Schlaf aufsagen, wie ihre Produkte erzeugt werden. Kurz, sie identifizieren sich voll und ganz mit dem, was sie tun.
Doch plötzlich geschieht Unfassbares. Ein Tüftler meldet einen Fußballschuh zum Patent an, der ohne herkömmliche Bindung auskommt. Dann geht die Entwicklung rasend schnell. Das Patent findet auch auf andere Schuharten Anwendung und es ist abzusehen, wann der Umsatz einbrechen wird. Sie müssen handeln.
Sie ziehen sich mit den Führungskräften der relevanten Abteilungen zu einem Klausurworkshop zurück. In einer flammenden Einführungsrede versuchen sie den Teilnehmenden das bevorstehende Ende des Schnürsenkels vor Augen zu führen. Wir gewohnt, erwarten sie, dass sofort Vorschläge kommen, was man nun tun könne und wie man auf diese Situation reagieren solle. Doch kaum haben sie ihre Präsentation beendet, setzt heftiger Protest ein. Der Schnürsenkel sei durch nichts zu ersetzen...Modeerscheinung...erst mal die Entwicklung beobachten....was sollen wir denn sonst machen....man sei ja völlig überrumpelt....wir können doch die Arbeitsplätze nicht aufs Spiel setzen....
Wir können das Beispiel hier abbrechen. Sie ahnen oder wissen aus eigener Erfahrung, wie so etwas gewöhnlich weitergeht.
Stellen sie sich dagegen vor, der Schnürsenkelfabrikant hätte seinen Leuten erklärt, dass Schnürsenkel ein Alltagsprodukt sind, mit dem sie ihre Geld verdienen und dass es darauf ankommt, dass "am Ende des Tages" die Kasse stimmt. Er hätte dafür gesorgt, dass sie wertschätzend geführt und ordentlich und fair bezahlt werden. Er hätte ihnen vermittelt, dass sie auch mit den Kunden und Lieferanten fair und mit den Ressourcen schonend umgehen sollen. Und er hätte sie angehalten den Markt sensibel zu beobachten und auch das Produkt immer wieder zu hinterfragen.
Die oben geschilderte Veränderungssituation wäre in diesem Rahmen sicher anders verlaufen.
Es ist in der Organisationssoziologie schon lange keine neue Erkenntnis mehr, dass zuviel Identifikation Veränderungen eher behindert. Niklas Luhmann hat darauf hingewiesen, dass eine Organisation an Elastizität verliert, wenn sich die Mitarbeitenden allzu sehr mit einem Zweck identifizieren. Immer da, wo die Identifikation mit einem Zweck - in unserem Beispiel der Bedeutung des Schnürsenkels - besonders ausgeprägt ist, wird es schwierig mit dem Wandel. 
Ein Unternehmen wird flexibler, wenn es Fragen der Mitarbeitermotivation nicht mit überhöhter und meist unrealistischer Sinnstiftung verbindet.
Wertschätzende Führung, fairer Umgang mit Beschäftigten und Kunden, schonende Nutzung der Ressourcen und offene und ehrliche Kommunikation über das Unternehmensziel (Ergebnis) sind immer noch entscheidende Voraussetzungen für motivierte Mitarbeiter. Wenn die stimmen, braucht es kein Purpose-Geplapper mehr.