Montag, 24. Mai 2021

Was fehlt bei den meisten Strategieentwicklungsprozessen?

Der unvoreingenommene Blick zurück

Was fördert die Entwicklung von Strategien und ist gleichzeitig der Grund für ihr Scheitern? 
Es wird fast nie danach gefragt, was aus der letzten Strategie geworden ist. Im besten Fall wird die aktuelle Version nochmal aus der Schublade geholt, der Staub weggeblasen und mit Kopfschütteln festgestellt, dass das alles ja längst überholt ist. Und flugs wird wieder nach vorne geblickt, eine kühne Vision nebst zugehöriger Mission formuliert um daraus in einigen mühevollen Workshopstunden eine wohlklingende Strategie abzuleiten.
Was aber nicht gemacht wird: es wird nicht vorbehaltlos gefragt, warum was von der letzten Strategieversion nicht eingetreten ist. Es wäre eine sehr heilsame Übung diese einmal Punkt für Punkt durchzugehen und sich die Gründe anzusehen, warum die Ziele erreicht, oder auch nicht erreicht wurden. In den meisten Fällen dürften die vor fünf Jahren formulierten strategischen Aussagen von aktuellen Entwicklungen überholt worden sein. 
Aber Rückschau ist verpönt, wird mit rückwärtsgewandt gleichgesetzt. Außerdem würde eine derartige Strategiebilanz bedeuten, Irrtümer einzugstehen. Und das ist eine Fähigkeit, die in Unternehmen nicht gerade gefördert wird. 
Es könnte aber auch Resignation eintreten, gepaart mit dem Zweifel, ob eine Strategie überhaupt sinnvoll sei. So weit sollte es allerdings auch nicht kommen. Der Blick in die Zukunft ist für Organisationen absolut notwendig. Nur sollte der immer das Lernen aus den Erfahrungen der Vergangenheit einbeziehen. Eine Strategie um ihrer selbst willen zu formulieren, nur um ein wohlklingendes Papier vorzeigen zu können, bringt nichts. Und wenn die Lage aktuell unübersichtlich sein mag, wie in der momentanen Corona-Situation, dann kann es sinnvoll sein auch einmal keine Ziele oder nur sehr kurzfristige abzuleiten. Auch auf Sicht fahren kann und sollte in längerfrstige Vorstellungen eingebettet sein. 
Der Strategieentwicklungsprozess darf nicht zu einem zwanghaften Ritual verkommen. Auch hier kommt es auf den Inhalt an, nicht auf den Formalismus. Und vor allem, die Ziele sollten nicht mit monetären Anreizen verknüpft sein. Dann obsiegt regelmäßig die Zielerreichungstaktik über die inhaltliche Konsequenz und Präzision.

Donnerstag, 13. Mai 2021

Culture Hacks

Wie aus einer klassischen Führungsaufgabe modischer Firlefanz wird 

Es ist immer wieder erstaunlich mit welcher Nonchalance traditionelle Führungsmethoden mit einer chick klingenden anglizistischen Begrifflichkeit aufgehübscht und dann als neu verkauft werden. So bringt Herr Prof. Herget aus Wien Culture Hacks im springerprofessional Newsletter Interview als neue Methode mit "gewaltigem...Potenzial" an Frau und Mann - oder sollte man besser sagen an den Markt.
Was ist damit gemeint? "Bei Culture Hacks handelt es sich um bewusste Interventionen, die in Unternehmen mit dem Ziel gesetzt werden, die aktuell gelebte Unternehmenskultur in eine gewünschte Richtung zu entwickeln......Sie sind bewusste Irritationen, die Musterbrüche des gewohnten, aber nicht kulturkonformen Verhaltens hervorrufen."
Man muss sich den letzten Satz einmal auf der Zunge zergehen lassen. Was ist das anderes als klassische Führungsarbeit? Wenn das Verhalten von Beschäftigten nicht "kulturkonform" ist, müssen Führungskräfte das korrigieren. Und wenn die Unternehmenskultur nicht mehr der Erreichung der Unternehmensziele dient, müssen die Führungskräfte mit gutem Beispiel eine Veränderung bewirken. Ob Letzteres mit ein paar "Kniffen, die schnell ein erwünschtes Mindset oder Verhalten in den Fokus der Reflexion setzen" gelingt, ist allerdings fraglich.
Leider wird Herr Prof. Herget nicht konkreter, was genau sich denn hinter einem Culture Hack verbirgt. Er spricht nur von einem "Repertoire an geeigneten Maßnahmen, Methoden oder Formaten". Er schildert ein Beispiel, in dem eine Führungskraft in einer Besprechung, in der über unmögliche Kundenforderungen geschimpft wird, ausgeprägtere Kundenorientierung anmahnt. Das ist ganz normales Fürhungsverhalten.
Auch wenn ein solches Newsletterinterview notwendigerweise nicht allzu tief in eine Materie eindringen kann, beschleicht einen doch der Verdacht, dass auch Culture Hacks nichts weiter sind, wie alter Wein in neuen Schläuchen - wie so oft bei "neuen" Management.Instrumenten.


Donnerstag, 6. Mai 2021

New Work im Reality Check

Freiheit funktioniert nur in Maßen

Mit diesen Headlines betitelt der humanresourcesmanager - Newsletter die Erfahrung, die Herr Behn, seines Zeichens CEO der Celebrate Company, mit dem gemacht hat, "was man unter New Work versteht".
Das erste Drittel des Artikels beinhaltet die Erfahrungen mit der Abschaffung hierarchischer Strukturen und Prozesse, in den zwei anderen Dritteln geht es um das Verhältnis von Home Office - und Office - Arbeit, also dem, was man heute hybrides Arbeiten nennt.
F. Bergmann, dem geistigen Vater des New Work Geblubbere, dürfte diese Verkürzung seiner Idee nicht ganz recht sein, ginge es ihm doch um nichts Geringeres als den Weg dafür zu bereiten, dass die Beschäftigten, das machen können "was sie wirklich, wirklich wollen" - was immer das dann sei.
Gehen wir also davon aus, dass die Celebrate Leute sich intensiver damit auseinandergesetzt haben, wie der Artikel es hergibt und konzentrieren wir uns auf die Erfahrungen mit dem Abbau der Hierarchie.
"Wir haben die Abteilungsstruktur aufgelöst, cross-funktionale Squads und fachliche Chapters geschaffen. Gleichzeitig haben wir sehr konsequent hierarchische Strukturen und Freigabeprozesse abgeschafft."
Und was war die Erfahrung? "....(es) hat sich schnell gezeigt, dass viele nicht mir der neugewonnenen Freiheit umgehen konnten. Manche wollten plötzlich gar keine Entscheidungen treffen, anderen fehlte schlichtweg der Mut. Wieder andere trafen übereilte Entscheidungen und nur wenige konnten mit der Verantwortung umgehen, die sie ganz automatisch mit der Freiheit mitbekommen hatten."
Was war die Konsequenz? "Heute haben wir eine sehr freiheitliche Kultur, in der wir laterale Führungsrollen implementiert haben. Führung ist verteilt und wird situativ gelebt. Jeder im Team kann Führung übernehmen und zwar durch Überzeugungskraft und nicht durch Anweisung."
Leider sagt Herr Behn nichts dazu, wie das in der Praxis aussieht. Was ist eine "laterale Führungsrolle"? Was passiert mit denen, die vorher nicht den Mut hatten, Entscheidungen zu treffen, wenn das andere "durch Überzeugungskraft" übernehmen? Was ist, wenn die Überzeugungskraft nicht mit genügend Kompetenz unterfüttert ist?
Wie in vielen Berichten über derartige organisatorischen Experimente findet man leider zu diesen Alltagsfragen keine genaueren Angaben. Auf der Homepage des Unternehmen gibt es auch keine Information zu der Zahl der Mitarbeitenden. Mutmaßlich liegt die aber deutlich unter der Tausendergrenze. Von daher ist es schon verwunderlich, dass man bei einer solchen Größenordnung überhaupt Hierarchie reduzieren muss. 
Die Abkehr von traditionellen Formen der Zusammenarbeit wird natürlich auf der Homepage vollmundig angepriesen, andererseits liest man, dass es Coaches, Chapter Leads und auch ein Development Team gibt. So ganz ohne Strukturen scheint es doch nicht zu gehen. Angesichts fehlender Detailinformation kann man auch hier einen ähnlichen Effekt vermuten, wie bei dem Instrumentarium, das im Rahmen der sogenannten agilen Organisation zur Anwendung kommt. Zwar werden traditionelle Hierarchien reduziert, doch in der Verkleidung einer schicken Begrifflichkeit werden neue aufgebaut, die nicht weniger wirkungsvoll sind. Auch vorgebliche Selbstbestimmung befreit nicht von Leistungsdruck.