Sonntag, 27. Oktober 2019

Das Austrittsgespräch

Ein überschätztes Instrument?

Ab und zu taucht es wieder auf, wenn es beispielsweise um die Frage geht, wie kann man Zusammenarbeit, Motivation, Betriebsklima und verwandte Soft Facts verbessern. In der Tat liegt es natürlich nahe, den ausscheidenden Beschäftigten zu befragen, wie er denn die Mitarbeiterschaft empfunden habe. Man könnte meinen, dass der nun unvoreingenommen, ohne Befürchtungen und auch ohne Opportunismus seine Meinung sagen kann.
Doch das funktioniert nur in der Theorie so. Auch der Mitarbeiter, der aus irgendwelchen Gründen "normal" und auf tatsächlich eigenen Wunsch das Unternehmen wechseln will, wird bei seinem Austritt eher höflich positive Töne anschlagen. Selbst wenn es Unbehagen gegeben haben sollte, wird das, wenn überhaupt, nach meiner Erfahrung bei einer Befragung durch den Personaler diplomatisch verpackt, so dass die Informationen wenig verwertbar sind. Meist ist der/die Ausscheidende in einem solchen Fall froh gehen zu können und will sich nicht länger mit Vergangenem beschäftigen. Und bei dem Mitarbeiter, der wechselt, weil er sich woanders besser weiterentwicklen oder schlicht mehr verdienen kann, ist das Wissen um diese Gründe wenig hilfreich. Halten kann man ihn nicht mehr und für die Erkenntnis, dass man sich um die Entwicklung - auch die gehaltliche - von insbesondere jüngeren Mitarbeitern kümmern sollte, braucht man kein Austrittsgespräch.
Wer eigentlich die Gründe kennen sollte, warum ein Mitarbeiter geht, ist der unmittelbare Vorgesetzte. Doch auch der wird sich in Schweigen hüllen, wenn er es versäumt hat, sich um ihn zu bemühen.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das Austrittsinterview außerhalb der Lehrbücher nicht die überzeugende Verbreitung gefunden hat.

Sonntag, 20. Oktober 2019

Mehr Arbeitsbelastung durch Digitalisierung

New Work - Träumereien bewahrheiten sich nicht

Eines der Märchen - heute würde man Narrativ dazu sagen - die zuverlässig immer im Zusammenhang mit neuen Technologien erzählt werden, lautet: Die Technik befreit uns von lästigen Routineaufgaben und läßt uns endlich Raum kreativ zu sein und das zu machen, was wir "wirklich, wirklich" (so das Mantra der New Work Bewegung) wollen. Pustekuchen - selbst bei nur oberflächlichem Blick auf die Folgen industrieller Entwicklung für die Arbeitsbedingungen, wird schnell klar, dass das noch nie gestimmt hat. Wenn es Verbesserungen in den Arbeitsbedingungen gab, mussten die errungen, meist sogar erkämpft werden. Sie sind keinesfalls quasi automatisch als Nebenprodukt des technischen Fortschritts angefallen. Produktivitätsfortschritte werden in der Regel sofort durch höhere Leistungsvorgaben "abgeschöpft".
So darf es nicht wundern, dass nach der aktuellen Jobstudie von Ernst & Young (1500 Befragte) 44% der Beschäftigten empfinden, dass ihre Arbeitsbelastug durch die Digitalisierung gestiegen sei. 23% stellen fest, das die Arbeitsprozesse in den vergangenen Jahren durch die Technologisierung komplexer geworden sind.
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit, so gravierend sie auch sein mögen, werden sich in ihren Grundmustern nicht von denen vergangener Technologieschübe unterscheiden.

Mittwoch, 16. Oktober 2019

New Pay....

....mit einem alten Instrument

Zur Zeit, so scheint es, wird wieder eine neue Wutz durch's Management-Dorf getrieben: New Pay. 
New Work braucht New Pay, so wird plakativ verkündet. Zu New Work habe ich mich hier schon früher geäußert (s. Post vom 23.6.). Doch was ist New Pay? Es ist "kein fertiges Gehaltsmodell von der Stange, sondern ein Veränderungsprozeß: Es geht darum, ein Vergütungssystem zu schaffen, das zur Form der Zusammenarbeit in einer Organisation passt". So eine der Autorinnen des Buches "New Pay" in einem Interview. So wichtig und richtig es ist, Entgeltsysteme an die Bedürfnisse der Organisation und ihrer Beschäftigten anzupassen, so alt ist die Erkenntnis selbst. Ich war selbst  mehrfach an der Konzeption und Enführung von Entgeltsystemen für unterschiedliche Beschäftigungsgruppen beteiligt und weiß von daher, dass man Vergütungsmodelle nicht "von der Stange" kaufen und eins zu eins im Unternehmen einführen kann.
Den New Pay-Jüngern geht es natürlich um mehr. Sie wollen die mit New Work verbundenen Prinzipien Fairness, Transparenz, Selbstverantwortung, Partizipation, Flexibilität, Wir-Denken und Permanent Beta zur Grundlage der Vergütung machen, wobei Fairness berechtigterweise eine zentrale Rolle spielt.
Wenn man sich das zu Gemüte führt, kommt einem spontan ein altes, bewährtes Instrument in den Sinn: der Tarifvertrag. Er bringt vieles mit, was zur Verwirklichung dieser Prinzipien beitragen kann.
Er kann, wie bei uns weit verbreitet, auf die Bedürfnisse einer Branche bezogen sein und wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmern konzipiert und ausgehandelt. Da Tarifverhandlungen immer breite Abstimmungsprozesse auf beiden Seiten vorausgehen, kann man zumndest indirekt von demokratischen Prozessen sprechen. Auch wenn Tarifverhandlungen meist langwierig sind und von überkommenen Ritualen begleitet, halten sie diese Prozesse doch aus den Unternehmen raus und entlasten diese. Die Konzeption und Einführung von Entgeltsystemen ist immer kompliziert und aufwendig. So berichten auch Unternehmen, die das selbst und unter möglichst weitgehender Beteiligung der Mitarbeiter machen, von aufwendigen auch nervenaufreibenden Diskussionen.
Die einzelnen Entgeltgruppen eines Tarifs sind anforderungsbezogen und damit wird sichergestellt, dass Beschäftigte mit vergleichbaren Tätigkeiten auch vergleichbar bezahlt werden, sogar betriebsübergreifend. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Fairness. Da die Tariftabellen öffentlich sind, ist auch die Transparenz gewährleistet.
Und sie sie haben eine in der heutigen Zeit sehr wichtige Funktion, sie legen Mindeststandards fest. Wenn wir eine gesetzliche Verpflichtung hätten Tarifverträge abzuschließen, bräuchten wir keinen Mindestlohn.
Im übrigen kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, dass es trotz Tarifvertrag immer noch genügend Spielraum gibt, die individuellen betrieblichen Anforderungen einzubeziehen.
Es kann nicht das Ziel sein, die Gestaltung von Entlohnung und Arbeitsbedingungen ausschließlich den Betrieben zu überlassen, selbst wenn diese versuchen, ihre Mitarbeiter einzubeziehen. Da in der Regel das Renditeprinzip auch gegenüber den hehren New Work-Prinzipien immer noch die Oberhand behält, muss es Rahmenregelungen geben, die den Mitarbeitern faire und verläßliche Arbeitbedingungen - es geht ja auch nicht nur um Entgelt - garantieren. Im übrigen ist das überschaubare Mitarbeiterkollektiv eines einzelnen Unternehmens nicht so durchsetzungsstark wie der Zusammenschluß vieler Beschäftigten beispielsweise in einer Gewerkschaft. Die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Laufe der Industriegeschichte kamen nicht in einzelnen Betrieben zustande - und sie mussten oft sogar "erkämpft" werden.

Freitag, 11. Oktober 2019

Beurteilung radikal

Ist die schonungslose Wahrheit immer gut?

Ob die Mitarbeiter bei Hypr Agency sich auf den Freitag freuen? In dieser PR-Agentur müssen alle Mitarbeiter jeden Freitag einen Kollegen kritisieren "direkt, sachlich und schonungslos" (zit. nach Human Resources Manager online, 27.9.) Jeder muss jeden Freitag bis 17 Uhr eine Videobotschaft mit seinem Feedback an einen Kollegen seiner Wahl über einen Slack-Kanal abgeben. Das ist eine Pflichtveranstaltung. Man muss jemandem aus dem Team erklären, was in der Woche nicht gut gelaufen ist und was besser werden soll. Der kritisierte Mitarbeiter muss auf die Kritik reagieren. Der Kanal, über den die Kritik läuft, ist für jeden einsehbar. Es herrscht also volle Transparenz. Die Führungskräfte sind davon nicht ausgenommen.

Donnerstag, 3. Oktober 2019

Der Gallup Engagement Index

Oder wie ein irreführendes Führungssverständnis vermittelt wird

Der Gallup Engagement Index teilt die Beschäftigten in drei Gruppen ein, solche mit hoher Bindung an ihr Unternehmen, mit geringer und mit keiner Bindung. Die prozentualen Anteile der Beschäftigten in diesen Gruppen sind seit der erstmaligen Ermittlung des Index 2001 nahezu unverändert. (Sie dazu meinen Post vom 20.9.) Rein statistisch betrachtet, könnte man meinen, dass diese Einstellungen nicht beeinflußbar und damit auch nicht veränderbar wären. Fairerweise muss man sagen, dass Gallup in den Detailergebnissen doch eine Gruppe von Unternehmen identifiziert hat, denen es gelingt, höhere Anteile bei den Mitarbeitern mit hoher Bindung zu erreichen. Es sind die Unternehmen, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, - wen wundert's - Agilität zu fördern.
Problematisch an diesen Befunden ist meines Erachtens jedoch das dahinterstehende Leistungsverständnis. Es gibt keine Kategorie mit "normaler" emotionaler Bindung an das Unternehmen. Vielleicht gibt es die deshalb nicht, weil sie mehr wie die drei anderen Einstufungen die Frage provoziert, wie denn "normal" hier eigentlich zu definieren sei. Insbesondere dürfte es schwierig sein, die Grenze zwischen den jeweiligen Gruppen zu beschreiben. Auch wenn die Fragen, die den Beschäftigten gestellt werden, Merkmale erheben, die auf eine emotionale Bindung an das Unternehmen hinweisen, kann man das nicht immer zwingend aus den Antworten schließen. So muss eine positive Beantwortung des Statements "Ich habe in den letzten sieben Tagen für gute Arbeit Anerkennung oder Lob bekommen." nicht unbedingt eine hohe emotionale Bindung an das Unternehmen dokumentieren.
Neben diesen mehr methodischen Anmerkungen stellt sich die Frage, warum man an seinen Arbeitgeber, idealerweise sogar hoch, emotional gebunden sein muss, um gute Leistung zu erbringen. Es gibt bestimmt nicht wenige, gerade jüngere Menschen, die ihre Arbeit engagiert und gut ausführen ohne sich allzu sehr an "ihr" Unternehmen gebunden zu fühlen. Sie schauen sich möglicherweise nach einiger Zeit um, um einen nächsten Karriereschritt zu machen oder schlicht mehr zu verdienen.
Von daher kommt man zu der Frage, warum gutes Führungsverhalten unbedingt zu einer hohen emotionalen Bindung führen soll. Wenn ca. 70% der Beschäftigten nur eine geringe Bindung zu ihrem Unternehmen aufweisen, müssten sich unter diesen statistisch betrachtet auch zahlreiche Leistungsträger oder zumindest ordentliche Leistungserbringer befinden.
Das kann darauf hinweisen, dass es nicht unbedingt notwendig ist, eine hohe emotionale Bindung an das Unternehmen zu haben, um ordentlich zu arbeiten. Offensichtlich läßt sich ja auch der Anteil derer mit hoher Bindung über die Zeitdauer insgesamt nicht erhöhen. Für das Führungsverhalten sollte das bedeuten, dass man den Beschäftigten, die nach Gallup nur eine geringe Bindung haben, eine bessere Aufmerksamkeit zukommen läßt. Da weisen die Fragen von Gallup duchaus in die richtige Richtung. Das Leistungsverhalten dieser Mitarbeiter muss zunächst stabil gehalten werden. Das Ziel eine hohe emotionale Bindung zu erreichen sollte man eher sekundär bewerten. Aber vielleicht überdenkt Gallup seine Kriterien ja mal.