Montag, 23. März 2020

Die Welt nach Corona

Eine Replik auf einen Artikel von Matthias Horx

Zur Zeit gibt es in den sozialen Netzwerken eine Flut von alarmistischen wie auch schönfärberischen Beiträgen über die Zeit nach der Corona-Krise. Da darf ein Zukunftsforscher nicht fehlen. Also steuert auch Meister Horx seine bekannte Zukunftslyrik bei.
Die Welt nach Corona; Wir wir uns wundern werden, wenn die Krise vorbei ist, ist sein Beitrag betitelt, der offenbar gut angekommt, gemessen an der Häufigkeit mit der einen aus allen Social Media Richtungen erreicht.

Gleich zu Beginn überrascht er uns mit einer kühnen Behauptung: wir werden niemals wieder zur Normalität zurückkehren. Das ist, mit Verlaub, Unfug. Natürlich werden wir wieder zur Normalität zurückkehren. Die sieht möglicherweise anders aus. Wobei die Frage: Was ist normal? heutzutage eh nicht so einfach zu beantworten ist. Aber mit derartigen Reflexionen beschäftigt sich Herr Horx weniger. Dafür präsentiert er uns die Unterscheidung zwischen "RE-Gnose" und "PRO-Gnose". Diese Regnose soll ein Blick von der Zukunft zurück ins heute sein und die "Gegenwartsbewältigung durch Zukunftssprung" erlauben.
Nur, wenn ich mir heute vorstelle, ich sitze im Herbst in einem Cafe - wie er beispielhaft vorschlägt - und blicke von dort aus auf die letzten Monate zurück, ist das für mich immer noch eine Prognose. Ich blicke ja trotzdem in die Zukunft.
Nach dieser Wortklauberei folgt in dem von ihm bekannten Sound eine Reihe von Beispielen, die zeigen, dass die Welt nach Corona eine viel Bessere ist. Welches Ausmaß an positiven Veränderungen er in die wenigen Monate bis zum Herbst reinpackt, ist fast überwältigend. Allein an diesem Punkt müsste ein halbwegs kritischer Leser schon stutzig werden.
Nicht dass ich mich auch freuen würde, wenn nur ein Teil von dem eintreten würde, was er beschreibt.
Aber warum soll denn die Welt nach Corona plötzlich so viel besser werden? Eine halbwegs fundierte Begründung für diese Einschätzung fällt ihm allerdings auch nicht ein. Zwei Stichworte dazu: Flüchtlingsproblem an der griechischen Grenze, Syrien - lösen sich diese Probleme gleichsam mit Überwindung der Pandemie auf?
Herr Horx sollte einmal, anstatt in die Zukunft, in die Geschichte blicken. Zum Beispiel auf das Ende des zweiten Weltkrieges, einem wahrlich größeren Desaster als die Corona-Krise. Er sollte dann unvoreingenommen die Frage stellen, wie ist die heutige Gesellschaft zu dem geworden was sie ist?
Warum sind die Zustände, die er jetzt beschreibt, nach einem solch einschneidenden Erlebnis nicht schon eingetreten? Beziehungsweise, warum konnten sie nicht erhalten werden?
Er würde dann u.a. auf ein Phänomen wie das kapitalistische Gewinn(maximierungs)streben stoßen
(durchaus ideologiefrei gemeint).
Aber diese grundlegenden Konfliktlinien und Komplexitäten deckt er mit dem Zuckerguß rosaroter Sozialromantik zu.
Wenn ihm der Blick in die Geschichte zu mühsam ist, könnte er den aktuellen Alltag einmal nicht-selektiv zur Kenntnis nehmen. Warum gibt es immer noch Zeitgenossen, die Lebensmittel hamstern?
Warum bleiben viele nicht aus persönlicher Einsicht zu Hause, sondern brauchen erst weitreichende Kontaktverbote? Bevor Herr Horx sich im Herbst auf den Weg ins Cafe macht, sollte er an den Mülltonnen vorbeigehen und nachsehen, wieviele von den gehamsterten Lebensmitteln dort gelandet sind.
Darum, warten wir nicht auf Wunder, blicken wir nicht ängstlich auf einen möglichen Kollaps oder freuen uns auf eine schöne, neue Welt. Stehen wir diese Situation mit Pragmatismus und Vernuft durch, dann schaffen wir es.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen