Sonntag, 30. Dezember 2018

Genau genommen weiß ich nicht, was ich sagen soll, deswegen rede ich.

Diesen Satz hat der kürzlich verstorbene Schriftsteller Wilhelm Genazino in den letzten Monaten seines Lebens niedergeschrieben. Er war bekannt als präziser und sensibler Beobachter menschlicher Existenzen und hat in seinen Büchern wahrlich genug "gesagt". Nun, das Ende seines Schriftstellerlebens offenbar im Blick, wußte er nicht mehr, was er noch sagen sollte. Er gesteht, dass er nur noch reden kann.
Beschrieben hat er damit nicht nur seinen eigenen Zustand sondern etwas, was wir täglich selbst erleben und auch praktizieren. Welches Ausmaß an Gerede erleben wir täglich? Wieviel wird in Besprechungen geredet ohne dass tatsächlich etwas gesagt würde? Wieviele Zeitgenossen reden drei Sätze, um etwas zu sagen, wofür einer gereicht hätte? Wieviele Mitmenschen hören sich gerne reden ohne dem Anderen etwas zu sagen oder ihm gar zuzuhören? Auch die, die etwas zu sagen haben sollten, reden oft nur -  und das dann auch noch um "den heißen Brei herum".
Aber auch: wieviel reden wir täglich selbst ohne uns Gedanken zu machen, ob wir auch etwas sagen?
Welche Mengen Nichtssagendes werden geappt, getweetet und gepostet?
Falls sie noch einen Neujahrswunsch brauchen, denken sie einmal über den Unterschied zwischen Reden und Sagen nach. Das kostet nicht viel Zeit und sie brauchen daraus auch keinen guten Vosatz abzuleiten. Denn immer dann, wenn sie auf einen "Redner" oder auch eine "Rednerin" treffen, werden sie daran erinnert und können für sich überlegen, kann, soll und weiß ich etwas zu sagen - oder bin ich besser still?
In diesen Sinne wünsche ich allen LeserInnen einen guten Start ins neue Jahr.


Donnerstag, 27. Dezember 2018

Gibt's Helene Fischer wirklich?

Da ihr Schicksal im Moment in aller Munde ist, erlaube auch ich mir einen Abstecher auf dieses Thema. Ich habe mir die Verlautbarung zu Gemüte geführt, die Frau Fischer im Internet anläßlich ihrer Trennung verbreiten ließ. Je mehr ich von dem, für diesen Anlaß doch recht umfangreichen Text las, desto verwunderter rieb ich mir die Augen. Mir war vorher gar nicht klar, wie toll eine solche Trennung doch sein kann. Die Zeit mit dem nun Ex war toll, der Ex selbst war toll und aus der Trennung geht eine wunderbare Freundschaft hervor. Beachtlich auch mit welcher Souveränität Herr Silbereisen mit der Trennung umgeht. Den neuen Partner von Frau Fischer hält er selbstverständlich auch für einen tollen Kerl. Der Text war so gestylt, wie Frau Fischer bei ihren Auftritten, alles glatt, makellos, ohne Falten, Ecken oder Kanten. Die Trennungsstory präzise choreografiert wie eine Show. Auch die weniger schönen Seiten des Lebens werden weggeschminckt und mit dem glitzernden Licht der Diskokugel kaschiert. Kann das wirklich echt sein? Auch wenn wir im postfaktischen Zeitalter leben, wollen wir nicht so weit gehen und die Existenz von Frau Fischer anzweifeln und sie uns als Rolle vorstellen, die ja nach Situation von identisch gestylten jungen Frauen gespielt wird. Das wäre wahrlich die perfekte Show.
Wir brauchen aber nicht über das Showgeschäft zu lästern. Wenden wir uns stattdessen wieder unserem angestammten Metier zu. Wieviel Show erleben wir in den Selbstdarstellungen aus Unternehmen in den einschlägigen sozialen Netzwerkplattformen. Man möge sich einmal die Posts beispielsweise auf Linkedin ansehen. Wieviel Schulterklopferei wird da von den Beschäftigten betrieben. Alles great, great work, super team. Welche Prahlerei müssen wir uns oft - auch im privaten Umfeld - von den beruflichen Erfolgen anderer Gesprächsteilnehmer anhören. Und da wir gerade die Weihnachtszeit hinter uns haben. Welche Selbstgefälligkeit begegnet uns in Weihnachtsrundbriefen, die von manchen Mitmenschen an große Mailverteiler verschickt werden.
Da können wir Frau Fischer gegenüber Nachsicht walten lassen. Etwas Show gehört überall dazu.
Falls sie noch einen Neujahrsvorsatz brauchen: wie wär's mit etwas mehr Demut im neuen Jahr.

Freitag, 21. Dezember 2018

Das Märchen vom Verschwinden der Hierarchie

Auch agile Methoden sind nur (schöner) Schein

Meistens fangen Märchen mit "Es war einmal..." an. Heute beginnen sie mit "Es wird einmal sein..."
und werden als Narrativ bezeichnet. Märchen lassen uns von einer heilen Welt träumen in der das Gute über das Böse siegt. So auch in dem Märchen vom Ende der Hierarchie. Die Rolle des Bösen übernimmt hier die Hierarchie und die gute Fee bringt so schöne Dinge mit wie beispielsweise agile Methoden, die ihr Ende herbeiführen sollen.
Nur war früher allen klar, wenn es sich bei einer Geschichte um ein Märchen handelte. Heute im postfaktischen Zeitalter werden gerade Geschichten über die Zukunft der Arbeit mit großer Ernsthaftigkeit erzählt und wenn sie noch mit dem Etikett "Megatrend" versehen werden, von vielen auch geglaubt.
Um so genauer sollte man deshalb hinhören, wenn es in diesem Geplapper einmal eine Stimme gibt, die sich mit (wissenschaftlicher) Ernsthaftigkeit bemüht, ein derartiges Phänomen differenziert zu diskutieren.

Freitag, 14. Dezember 2018

Fühlen sie sich bei der Arbeit wohl?

Wenn ja, warum?

Die ZEIT hat sich in ihrer Jahresrückblicksausgabe mit der Frage beschäftigt, wie sich die arbeitende Bevölkerung fühlt. Dazu wurden 1000 erwerbstätige Menschen quer Beet durch alle Beschäftigtengruppen befragt. Kritisch könnte man dazu anmerken, dass die Ergebnisse einer so breit angelegten Befragung doch sehr allgemein sind. Rückschlüsse auf sicher vorhandene Unterschiede in Branchen oder bestimmten Beschäftigtengruppen sind auf Grund der geringen Fallzahlen nicht mehr möglich.
Am wichtigsten ist über 80% der Befragten, dass sie sich bei der Arbeit wohlfühlen. Über 60% geben auch an, dass dem so ist. Dass der Wohlfühlfaktor eine so große Rolle spielt, ist allerdings nicht überraschend oder eine neue Tendenz. Das haben ähnliche Befragungen in der Vergangenheit auch schon gezeigt. Auch die Höhe des Entgeltes hat gewöhnlich nicht die Bedeutung. Danach hat die ZEIT erst gar nicht gefragt. Der Wunsch nach der langfristigen Sicherheit des Arbeitsplatzes landete in dieser Umfrage auf Platz zwei. Das Wohlfühlen am Arbeitsplatz dürfte allerdings entscheidend mit diesem Punkt zusammenhängen. Ist der Arbeitsplatz gefährdet, läßt das Wohlsein bei der Arbeit ziemlich rapide nach.
Die in den Medien vielfach geschürte Angst vor Arbeitsplatzverlusten in Folge der Digitalisierung scheint bei den Befragten allerdings noch nicht angekommen zu sein. Über 60% schätzen die langfristige Sicherheit ihres Arbeitsplatzes als zufriedenstellend ein.
Etwas überraschend ist die geringe Bedeutung, die die Ausgestaltung der Arbeitszeit offensichtlich für die Beschäftigten spielt. Die Wichtigkeitswerte zu diesen Fragen liegen unterhalb der 40%-Grenze. Dazu passt, dass auch betriebliche Angebote zu körperlicher Fitness oder gesunder Ernährung nicht für wichtig gehalten werden.
Nachdenklich machen muss, dass für 80% das Wohlfühlen bei der Arbeit wichtig ist, aber nur gut 60% dieses Empfinden auch haben. Was ist mit den übrigen? Fühlen die sich nicht wohl? Und wenn ja, warum? Was ist mit denen, denen es möglicherweise egal ist? Sind das die, die innerlich gekündigt haben?
Dazu gibt die Befragung leider nichts her. Auch wenn das Wohlfühlen durch die individuellen Erwartungen der Beschäftigten beeinflußt sein dürfte, kann man zwei entscheidende Faktoren ausmachen: das Verhalten der Vorgesetzten und das Verhältnis unter den Kollegen. Wobei auch letzteres in gewissem Maße durch das erste beeinflußt wird.
Wertschätzende Führung schafft die Voraussetzung dafür, dass die Mitarbeiter sich wohlfühlen können. Das ziehen diese jedem noch so gut gemeinten "Rahmenprogramm" des Arbeitgebers vor. Nun scheint es Unternehmen zu geben, die nach der Devise handeln "Die Leute sollen sich nicht wohlfühlen, die sollen was schaffen. Schließlich werden sie dafür bezahlt." Wobei die Bezahlung gerade bei diesen dann nicht so üppig ausfällt. Sie sollten vielleicht einmal einen Blick auf ihren Krnakenstand oder die Fluktutionsrate werfen. Die sind vielleicht nicht so toll - und die Leistungsbereitschaft der Leute auch nicht.




Freitag, 7. Dezember 2018

Wie soll die neue Schule aussehen?

Ist die Digitalisierung wirklich das größte Problem?

Wenn man die aktuelle bildungspolitische Diskussion verfolgt, hat man den Eindruck, dass viele Probleme schon gelöst seien, wenn die Schulen über gutes WLAN verfügen, die Schüler mit Tablets ausgerüstet sind und in allen Klassenräumen ein Whiteboard steht. Natürlich ist die Ausstattung mit zeitgemäßem Equipment notwendig, aber sie ist nur ein erster und wahrscheinlich nur ein kleiner Schritt in die Zukunft. Um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, sollte man sich an den alten Spruch erinnern "Nicht für die Schule lernen wir, sondern für das Leben". Die Digitalisierung beeinflußt zwar unser Leben, aber sie ist nicht das Leben. Es ist nicht nur semantische Kleinkrämerei, wenn man darauf hin weist, dass man Schüler nicht auf die Digitalisierung vorbereiten sollte, sondern auf ein Leben in einer komplexen Welt, die sie immer wieder vor Entscheidungen in Situationen voller Ungewissheit stellt. Schüler müssen nicht Programmieren lernen, aber sie müssen die Basics beherrschen, Lesen, Schreiben, Rechnen. Sie müssen lernen mit einer Fülle von Informationen umzugehen und sie müssen lernen, sich mit Werten auseinanderzusetzen.
Wenn ich Jugendliche sehe, die stundenlang mit dem Handy "rumspielen", aber nicht in der Lage sind ein knappes Anschreiben für eine Bewerbung mit Hilfe von Word zu erstellen, stimmt etwas nicht. Sie tun sich schon mit der Technik Word schwer, aber noch schwieriger wird es einen Text zu formulieren und richtig aufs Papier zu bringen.
Darum ist die Initiative der Bundesregierung zu begrüßen, fünf Milliarden den Ländern für die Schulen zur Verfügung zu stellen. Sogar das Grundgesetz wird dafür geändert. Hoffentlich ist das der Einstieg in den Ausstieg aus dem Bildungsföderalismus. Die Überwindung des Föderalismus gerade im Bildungsbereich muss der erste Schritt sein, um unser Schulsystem auf die Zukunft auszurichten.
Die sogenannten Verantwortlichen in der Wirtschaft sollten gerade in diesem Punkt mehr Einfluß auf die Politik ausüben, anstatt naturwissenschaftliche Spielereien in der Kita zu fordern.