Freitag, 14. November 2014

Anonyme Bewerbung

Eigentlich ein  Armutszeugnis für Personaler. Auch wenn eine überbordende politische Korrektheit bei dieser Entwicklung mit Pate gestanden hat, zeigen die Diskussionen um die anonyme Bewerbung doch auch, dass offensichtlich Grund zu der Annahme besteht - ich formuliere bewußt vorsichtig - , dass bei der Personalauswahl Vorurteile eine Rolle spielen. Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderungen - um beispielhaft zwei Gruppen politisch korrekt zu benennen - haben offensichtlich Nachteile bei Stellenausschreibungen überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, um gegebenenfalls dann mit ihrer Kompetenz und Persönlichkeit überzeugen zu können.
Aber auch Frauen oder Ältere fühlen sich in Rekrutierungsprozessen benachteiligt. Ausgehend von meiner über dreißigjährigen HR-Erfahrung vertrete ich nach wie vor die Ansicht, dass im Rahmen einer professionellen Personalauswahl diese Vorurteile zumindest relativiert werden können und schwerpunktmäßig die persönliche Kompetenz der Bewerber ausschlaggebend ist. Von daher halte ich anonyme Bewerbungen für unnötig und auch nicht zielführend. Auch wenn ich aus meiner Erfahrung ebenso weiß, dass irrationale Motive bei Einstellungsentscheidungen, insbesondere bei Führungskräften aus den beteiligten Fachabteilungen, immer wieder eine Rolle spielen. Die gut aussehende Frau mit einem gut gemachten Bewerbungsphoto erhöht bei männlichen Bewerbungslesern durchaus ihre Chance, dass ihre Bewerbung zuminndest nicht schon nach flüchtigem Lesen wieder auf die Seite gelegt wird. Der professionell arbeitende HR'ler liest aber dann auch den Lebenslauf genauso aufmerksam und macht das Gesamtbild zur Grundlage seiner Entscheidung. Er verfällt angesichts einer gekritzelten Unterschrift auch nicht in hobbygraphologische Betrachtungen, wie es immer noch manche Führungskräfte tun. Und wenn er einen qualifizierten Maschinenbauingenieur sucht und aus den schriftlichen Unterlagen einen guten Eindruck gewonnen hat, wird er den Bewerber auch dann einladen, wenn dieser einen fremdländischen Namen trägt.
Mittlerweile hat es einige Pilotprojekte, auch bundesweit und mit großen Unternehmen und Organisationen gegeben, die der anonymen Bewerbung eine positive Akzeptanz bestätigten. Ich habe auch Einzelstimmen von BewerberInnen gelesen, die meinten ohne dieses Verfahren wären sie sehr wahrscheinlich nicht eingestellt worden. Diesen Aktionen fehlt dennoch die empirische Belastbarkeit, weil immer die Vergleichsgruppe fehlt. Es kann niemand sagen, ob die Personen, die schließlich eingestellt wurden, nicht auch bei einem herkömmlichen Verfahren zum Zuge gekommen wären.
Der höhere Bearbeitungsaufwand für Unternehmen und Bewerber mag noch das geringste Gegenargument sein. Wie werden zukünftig Zeugnisse geschrieben, in denen es keine Hinweise mehr auf die Identität des  Beschäftigten geben darf? Schon heute gibt es im Internet hilfreiche Tips, wie man Arbeitszeugnisse bearbeiten kann, um seine persönlichen Daten unkenntlich zu machen. Wenn es Vorurteile bei der Personalrekrutierung gibt, dann werden sie bei der Vorauswahl nach einer anonymen Bewerbung noch einzugrenzen sein. Spätestens beim Vorstellungsgespräch jedoch werden sie dann durchschlagen.
Letztendlich ist auch die anonyme Bewerbung wieder nur ein Beispiel für den Versuch, eine menschliche Unzulänglichkeit durch eine  - wie sie oft bei derartigen Intentionen krampfhafte  - Regelung zu ersetzen. Mithin wieder eine Führungskrücke.

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