Mittwoch, 5. November 2014

Vetternwirtschaft

Jeder weiß, was sich hinter diesem altertümlichen Begriff verbirgt. In nahezu jeder deutschen Dialektregion gibt es dafür eigene Übersetzungen. Überraschenderweise hat sich allerdings noch keine eingedeutschte englische Version dafür gefunden. Der im Deutschen aktuell hochmoderne Begriff des Netzwerks läßt sich allerdings auch gut als Tarnbezeichnung für dieses Phänomen verwenden. Und dieses ist ebenfalls nach wie vor in Mode. Gerade wieder in einem traditionellen deutschen Unternehmen erlebt. Da drückt ein Mitglied des Vorstandes seinen Sohn, der gerade seine Studien der Ethnologie, Geschichte und Politikwissenschaft erfolgreich abgeschlossen hat mangels anderer Beschäftigungsmöglichkeiten in die Marketingabteilung des eigenen Unternehmens. Marketing kann eh jeder, da findet auch ein Ethnologe sein Betätigungsfeld.
"Wir dürfen nicht mehr so eng auf die Studienabschlüsse schauen." hatte er dem Marketingleiter wohlmeinend noch mit auf den Weg gegeben als er ihm die Bewerbung seines Sohnes in die Hand drückte. Die Personalabteilung wurde natürlich auch erst im Nachhinein informiert. Der Junge brauchte ja schließlich auch noch einen Vertrag. Marketingleiter und Personaler zuckten mit den Schultern, hießen den neuen Mitarbeiter freundlich willkommen und fragten sich dann, wie sie die Einsparungsquote im Rahmen des gerade laufenden Kostensenkungsprogramms realisieren könnten.
Es ist immer wieder bemerkenswert wie gerade hochrangigen Führungskräften, egal in welchen gesellschaftlichen Bereichen, die Sensibilität verloren geht, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Wenn in einem Unternehmen die Devise gilt, dass Mitarbeiterkinder bei gleicher Qualifikation bei Einstellungen bevorzugt werden, dann muss das grundsätzlich auch für Kinder von Führungskräften bis hin zum Vorstand gelten. Nur müssen letztere eine besondere Sensibilität dabei an den Tag legen. Das Familienmitglied als Bewerber muss sich dem ganz normalen Auswahlprozess unterziehen und der zuständige Vorgesetzte und sein Personaler müssen die Entscheidung autonom treffen können. Nun habe ich mir im Laufe meiner eigenen Tätigkeit in HR jegliche Blauäugigkeit in diesem Punkt abgewöhnt. Wenn vom Vorstand eine Bewerbung in der Personalabteilung landet, wird diese mit spitzen Fingern angefasst und bevorzugt behandelt. Darüber muss sich jeder Vorstand im Klaren sein. Was soll er tun? Am besten kein Familienmitglied im eigenen Unternehmen unterbringen. Er kann ja stattdessen sein Netzwerk nutzen und seinen Nachwuchs dem Unternehmen des Golfpartners empfehlen. Dem Kind tut er damit sehr wahrscheinlich sogar den größeren Gefallen. Es tut dem Selbstwertgefühl nicht unbedingt gut, wenn man das Gefühl hat, man wird hier nur beschäftigt, weil der Alte es so gewollt hat.

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