Donnerstag, 2. Oktober 2014

Beurteilungsysteme - eine klassische Führungskrücke


Es ist normalerweise elementarer Bestandteil der Führungsaufgabe mit den Mitarbeitern Gespräche zu führen und ihnen ein Feedback - kritisch wie auch positiv - zu ihrer Leistung zu geben. Doch gerade damit tun sich viele Führungskräfte schwer. Die Kommunikation verlässt oft nicht die fachliche Ebene. Kritik wird durchaus artikuliert, aber vorwiegend im kollektiven Rahmen. Auch wenn es berechtigt und notwendig wäre, unterbleibt die individuelle Ansprache, das in-die-Verantwortung-nehmen des Einzelnen. Davor haben viele Chefs Scheu. Und wenn es doch dazu kommt, weil es nicht mehr anders geht, erfolgt es in weich gespülter Form. Mit Lob ist es nicht anders. Es wird nur noch seltener eingesetzt als Kritik sowohl in kollektiver als auch in individueller Form. Der aus dem schwäbischen kommende Spruch: Nichts gesagt, ist genug gelobt, kommt nicht von ungefähr.

Um dem abzuhelfen, wurden als Hilfsmittel Beurteilungssysteme erfunden. Das Verfahren wurde ritualisiert, mit Fristen unterlegt, um wenigstens Mindestzeiträume einzuhalten, innerhalb denen ein Gespräch geführt werden sollte. Es wurden Formulare und Notensysteme kreiert und natürlich auch Trainings, damit die Führungskräfte in die Lage versetzt werden, ihrer Aufgabe nachzukommen. Korrekterweise muss man hier allerdings ergänzen, dass viele Beurteilungssysteme einen anderen Zweck erfüllen als zu gewährleisten, dass die Mitarbeiter ein Mindestmaß an Feedback bekommen. Sie dienen als Grundlage für eine sogenannte Leistungszulage. Damit wurden sie auch Bestandteil von Tarifverträgen, zum Beispiel in der Metallindustrie. Dass man die Beurteilung mit einem finanziellen Anreiz gekoppelt hat, hatte allerdings dieselbe Wirkung, wie man an eine Gehhilfe zusätzliche Gewichte hängen würde. Hier stand wieder der alte Irrglaube Pate, dass man damit die Beschäftigten motivieren könne. Dabei erschließt sich einem schon bei oberflächlichem Nachdenken, dass die Motivationskraft eines oft schwerfälligen, ritualisierten Verfahrens, in dem man sich nur theoretisch verschlechtern kann und die Verbesserungsmöglichkeiten gedeckelt sind, äußerst gering ist. Bei wohlwollender Betrachtung kann man den Erfindern eine positive Absicht unterstellen. Beurteilungssysteme sind auch ein Versuch Gerechtigkeit herzustellen, indem alle dem System unterworfenen nach dem gleichen Schema beurteilt werden. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass auch dieser Effekt eingeschränkt ist. Durch die Subjektivität der beurteilenden Führungskräfte kommt es doch zu unterschiedlichen Einstufungen bei vergleichbaren Leistungen. Das wird immer dann deutlich, wenn es in einer Abteilung zu einem Vorgesetztenwechsel kommt. Folgt dem großzügigen Beurteiler einer, der das System enger auslegt und damit vermeintlich schlechter beurteilt, kommt es regelmäßig zu Diskussionen.
Bei allen Beurteilungssystemen ist eine ausgeprägte Tendenz zum Positiven festzustellen. Die Gaussche Normalverteilung, die zwar in allen Beurteilungsschulungen erklärt wird, findet sich in den Ergebnissen der Beurteilungsrunden nicht wieder. Besonders selbstbewusste Führungskräfte erklären diesen Effekt dann mit der Tatsache, dass sie eben in der Mehrzahl auch gute Mitarbeiter hätten. Diese Neigung zur positiven Beurteilung zeigt die Scheu viele Chefs kritisches Feedback zu geben. Das wird natürlich noch dadurch verstärkt, wenn die Beurteilung an eine Leistungszulage geknüpft ist. Ans Geld gehen will der Vorgesetzte dem Mitarbeiter schon gar nicht. Ganz abgesehen davon, dass die Absenkung von Leistungszulagen in den Tarifverträgen meist auch an hinderliche Prozeduren gebunden ist.
Am Beurteilungssystem wird die Funktion als Führungskrücke besonders deutlich. Daran ändert auch das neudeutsche Etikett Performancemanagement nichts. Der Vorgesetzte bekommt ein Instrument an die Hand für eine Aufgabe, die er eigentlich selbständig ausüben müsste. Er bekommt ein Hilfsmittel verordnet, damit er in der Lage ist, den gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Im Gegensatz zum medizinisch verordneten Hilfsmittel müssen bei einem institutionalisierten Beurteilungssystem alle Führungskräfte das Instrument nutzen, auch wenn sie ohne es zurecht kämen. An diesem Beispiel wird allerdings auch deutlich, dass diese Krücke durchaus positive Effekte haben kann. Offensichtlich ist die Beurteilung – oder besser das Feedback – für viele Führungskräfte ein schwieriges Metier. Durch dieses Instrument wird sichergestellt, dass überhaupt beurteilt wird und die Beurteiler bekommen etwas an die Hand, das ihnen das Vorgehen erleichtert. Mehr sollte ein Beurteilungssystem auch nicht sein. Ein Angebot, eine Hilfe insbesondere für solche, die neu in ihrer Aufgabe sind, dann auch verbunden mit einer sorgfältigen Schulung. Die Beurteilung sollte in keinem Fall mit einem finanziellen Anreiz verknüpft sein. Das beeinflusst unweigerlich den Inhalt und hat darüber hinaus keinerlei motivierende Wirkung. Grundsätzlich aber ist an eine Führungskraft die Anforderung zu stellen, dass sie in der Lage ist ihren Mitarbeitern situationsgerecht, zeitnah, fair und wertschätzend Feedback zu geben. Wohlgemerkt, auch in positive Richtung.



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