Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Dieser Spruch wird dem noch immer allgegenwärtigen Altkanzler Helmut Schmidt zugeschrieben. Im Alltag der Unternehmensführung hat diese Rat bisher allerdings wenig Wirkung gezeigt. Zur Mindestausstattung des Berater-Werkzeugkoffers gehört immer noch die Begleitung bei der Formulierung von Vision, Mission und Strategie, einer unabdingbaren Voraussetzung - so die Berater - für den Erfolg eines Unternehmens. Viele Führungskräfte - mich eingeschlossen - erinnern sich an Workshops mit Kärtchenabfragen, Stärken-Schwächen-Analysen und dem oft zähen Ringen um möglichst schwungvoll, ja mitreißend klingenden Visionsformulierungen. Sie erinnern sich dann auch daran, dass diese Formulierungen anschließend schön aufgemacht und gerahmt in die Büros gehängt wurden oder in die Stellenausschreibungen gedruckt wurden. Bis zur nächsten Runde - aus der dann wieder neue Formulierungen hervorgingen.
Ich persönlich erinnere mich aber auch an sehr interessante, spannende und durchaus auch konntroverse Diskussionen, wenn um die Fragen gerungen wurde: Wo stehen wir?, Wofür stehen wir? Wo wollen wir hin? Das sind ja die Fragen, um die es dabei gehen sollte. Und nach meiner Überzeugung tut es jeder Organisation gut, sich ab und zu einmal damit zu beschäftigen, Standortbestimmung zu betreiben. Das heißt auch, das bisherige Handeln kritisch zu reflektieren, besonders vor der Frage, wie soll es in der Zukunft weiter gehen.
Warum aber stöhnen viele auf, wenn wieder der nächste Strategie-Workshop ansteht oder wenn es heißt, wir müssen neue Leitlinien erstellen? Weil das, was in diesen Workshops diskutiert wird, meist ohne für die Beteiligten spürbare Konsequenz in der Praxis bleibt. Weil die wohlklingenden Formulierungen in den Leitlinien und Strategiecharts am Ende so weichgespült werden, dass niemand etwas dagegen haben und jeder sich damit identifizieren kann. Am Ende des Workshops geht es dann eher darum, meist krampfhaft nach Formulierungen zu suchen als zu überlegen, wie man das Diskutierte konsequent in die Praxis umsetzt. Die Stadt Mannheim wirbt neuerdings in ihren Stellenanzeigen mit dem Satz "Wir wollen eine der modernsten Stadtverwaltungen Deutschlands werden." Ein typischer Visionssatz. Jeder städtische Mitarbeiter wird sofort mit dem Kopf nicken, wenn er ihn hört. Doch woran wird das gemessen? Kann man das überhaupt seriös feststellen? Woran wird "modern" festgemacht? Und wie merke ich das als Bürger, als Kunde? Ich gehe fest davon aus, dass die Statdverwaltung Mannheim sich modernisiert. Aber ich hoffe, sie tut das auch ohne diese schönen Sprüche.
Auch Helmut Schmidt hat seine Politik nach Leitbildern ausgerichtet, bei allem Pragmatismus, den er vertreten hat. Eine reflektierte, nach vorne gerichtete Vorstellung vom eigenen Geschäft zu haben, gewürzt mit Pragmatismus, ist eine gute Basis für Erfolg.
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