In meinen jüngeren Berufsjahren hatte ich einmal einen Chef , der bei allen Entscheidungen, die er traf, immer zurerst fragte: Wie denkt mein Chef darüber? Was würde er sagen? Ist das ihm genehm oder handele ich mir dann Ärger ein? Zugegebenermaßen war dieser Chef-Chef, der Geschäftsführer des Unternehmens, eine sehr dominante Führungspersönlichkeit. Und nicht nur mein Chef verhielt sich so sondern auch die meisten anderen Führungskräfte in dieser Firma.
Ich habe bei diesem Chef sehr viel an taktischem Verhalten gelernt. Ich hatte aber auch in verschiedenen Projekten Gelegenheit direkt mit diesem Geschäftsführer zusammenzuarbeiten. Dabei habe ich gemerkt, dass er durchaus anderen Ideen und Vorschlägen zugänglich ist und dass er vor allem nicht jedes Detail meiner Alltagsarbeit entscheiden will und kann. Letztendlich war auch für ihn das Ergebnis entscheidend. Nur, wenn ich im Vorfeld schon bestimmte Schritte ihm zur Entscheidung vorgelegt habe, bekam ich auch prompt eine Entscheidung - ob die mir dann gepasst hat oder nicht. Meine Lehre daraus war, wenn möglich nur das "Endziel" - das aber so präzise wie möglich - und die grundsätzliche Richtung dahin abzustimmen. So konnte ich mir Entscheidungsfreiräume schaffen und auch nutzen. Rückblickend bin ich dankbar, diese Erfahrung schon relativ früh gemacht zu haben.
Meinem Chef und auch den anderen Führungskräften war dieses überangepasste Verhalten so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie es gar nicht mehr reflektiert haben.
Auch in anderen Organisationen habe ich später immer wieder festgestellt, dass die Freiräume meist größer sind als die Regelungen und Vorgaben es von außen vermuten lassen. Insbesondere je weiter oben man sich in der Hierarchie befindet. Manche Führungskräfte scheinen allerdings die engeren Entscheidungsspielräume, die sie vor ihrem Aufstieg hatten, mitzunehmen und sich nicht bewußt zu machen, dass gerade von ihnen eigenständige Entscheidungen verlangt werden auch ohne den ängstlichen Blick auf den Vorstand. Diese Chefs sind es aber auch dann, die ihren Mitarbeitern die Angst weitervermitteln. "Wie soll ich das dem Vorstand sagen?", "Der Vorstand meint aber....." Und so gedeiht der vorauseilende Gehorsam weiter.
Natürlich erfordert es Mut und Risikobereitschaft eigene Entscheidungen zu treffen und trotzdem die Vorgaben und Regeln einzuhalten. Aber das ist die Gratwanderung, die man als Führungskraft beherrschen muss.
Gerade in Zeiten in denen die Anforderungen an Flexibilität und Schnelligeit steigen, kommt es auf Freiräume an. Systeme und Regelungen, die das behindern, müssen auf die Probe gestellt werden. Die Beschäftigten müssen zu Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantortung entwickelt werden und Führungskräfte, die beides nicht mitbringen, müssen zurück ins Glied.
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