Montag, 3. September 2012

Mythos Zielvereinbarung

Nach meiner Beobachtung gibt es kaum ein Instrument, das eine solche Verbreitung gefunden hat
und vor allem einen solchen Glauben an seine Wirkung und Sinnhaftigkeit erzeugt hat, wie das Instrument
der Zielvereinbarung. Aber ist dieser Glauben gerechtfertigt?
Sogar über die "Industrie" hinaus hat dieses Instrument sich verbreitet und in Hochschulen, Kliniken,
und sonstigen Institutionen seinen meistens unsinnigen Einzug gehalten.
Ich kenne Unternehmen, deren Umsatzrendite über mehrer Jahre hinweg rückläufig war, der durchsschnittliche Zielerreichungsgrad aber im selben Zeitraum kontinuierlich angestiegen - er lag
natürlich deutlich über 100%.
Wird diese Frage in Ihrem Unternehmen/Ihrer Organisation gestellt? In welchem Verhältnis steht die
Ergebnisentwicklung zur Entwicklung des Zielerreichungsgrades? Und: Können Sie zweifelsfrei die
Beziehung zwischen beiden Größen belegen?
Woran liegt es, dass Zielvereinbarungssysteme oft an der Performance des Unternehmens vorbei wirken?

Fehlerquelle Zielvereinbarung

Kann es hier überaupt eine konsequente - im Sinne von gleichberechtigter - Vereinbarung geben? Im Katechismus der Zielvereinbarungslehre steht, dass sich die Ziele aus der Zielpyramide der Organisation ableiten müssen. Da heißt, sie müssen zu einem wesentlichen Teil Vorgabe sein. Natürlich muß ich diese Vorgaben mit dem Mitarbeiter diskutieren, muß sie vor allem erklären und kann dann Wege vereinbaren, wie die abgeleiteten Individual- oder Teamziele erreicht werden.
Aber ich muß zunächst Vorgaben vermitteln - das hat mit Führung zu tun.
Meistens wird hier in der Tat zu viel "vereinbart". Am besten bringt der Mitarbeiter seine Ziele schon mit
und auch den Vorschlag, wann die 100% erreicht sind, so dass in jedem Fall der überdurchschnittliche Zielerreichunggrad am Ende des Jahres gesichert ist. Und was tauchen da nicht alles für Ziele auf: Budgeteinhaltung (Damit ich für die an und für sich selbstverständliche Einhaltung des Budgets auch noch belohnt werde), Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters (Wie wird gemessen, wann sie erfolgreich war? - Zielerfüllung garantiert.) 
Besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang die Zielformulierungen, insbesondere dort, wo es sich um sogenannte qualitative Ziele handelt. Wie wird hier oft schwammig formuliert. Was natürlich nachher bei der Feststellung der Zielerreichung ein Vorteil ist. Je schwammiger die Formulierung, desto besser erreiche ich meine Prämie.

An der Stelle wird auch die Glaubensfrage diskutiert, was sollen denn Zielvereinbarung eigentlich beinhalten,
Tagesgeschäft oder darüberhinausgehende Aufgaben, Projekte o.ä.? Eine Frage, die nie trennscharf zu
beantworten ist und die bei einer konsequenten Verfolgung der Zielpryramide auch nicht gestellt werden darf.
Letztendlich sollen alle Aktivitäten der Beschäftigten der Erreichung der Unternehmensziele dienen. Zuweilen führt das dazu, dass neben dem normalen Tagesgeschäft, das "sowieso" zu erledigen
ist, krampfhaft Ziele gesucht werden. Diese bringen dem Unternehmen meist wenig - im Gegenteil sie kosten
Geld in Form der Prämie - und halten vom Tagesgeschäft ab.

Fehlerquelle Zielkontrolle 

Die findet vielfach gar nicht statt. Wenn nach einer Studie des Beratungsunternehmens Saamann AG aus
dem Jahr 2010 nur 51% der Führungskräfte ihre Ziele im Kopf haben, dann heißt das, sobald das Zielformular unterschrieben ist, verschwindet es in der Schublade und wird erst dann wieder hervorgeholt,
wenn das Zielerreichungsgespräch ansteht. Eine regelmäßige Überprüfung mit Diskussion des aktuellen
Zielerreichungsstandes findet vielfach nicht statt.
Und was ist dann am Ende des Jahres und vereinbarte Ziele wurden nicht erreicht? Wie schnell werden
dann Entschuldigungen akzepiert: der Markt ist weggebrochen, die Konjunktur war sowieso schlecht,
in einem Exportland gab es politische Unruhen, im Tagesgeschäft gab es ungeplante Kapazitätsengpässe
u.s.w.....und als Zielerreichungsgrad werden wegen des besonderen Engagements doch mindestens
100% vergeben.
Eine besondere Variante ergibt sich dann, wenn die Prämie als Kombination von Unternehmensergebnis
und persönlicher Zielerfüllung ermittelt wird. Ist das Unternehmensergebnis schlechter, wird der Zieler-
reichungsgrad etwas geschönt, damit die Prämie nicht absinkt.


Zielvereinbarungen und Vertrauenskultur???


Vor diesem Hintergrund sollte man auch die Frage stellen, wie ein Zielvereinbarungssystem sich
zu einer möglicherweise anzustrebenden Vertrauenskultur verhält. Vertrauenskultur ist ja heute auch
in aller Munde. Kein Unternehmen wird von sich behaupten, es habe keine Vertrauenskultur.
Viele Unternehmen, die ihre Vertrauenskultur vollmundig plakatieren haben aber auch ein Zielvereinbarungs-
system.
Wenn ich meinen Mitarbeitern vertraue, dass sie kompetent und eigenverantwortlich ihre Arbeit
machen,
wenn ich meiner Organisation und ihren Prozessen traue
und wenn ich meinen Führungskräften traue, dass sie verantwortlich führen,
dann brauche ich kein Zielvereinbarungssystem.
Nun sehe ich schon die abwehrenden Reaktionen der versammelten Praktiker:
Genau das funktioniert doch in das Parxis nie richtig.
Eben - und darum werden Krücken gebraucht.

Zielvereinbarungen fördern Egoismus


Ein weiterer Nachteil von Zielen ist, dass sie Egoismus fördern - egal ob individuellen Egoismus oder
Gruppenegoismus. Da sich die konsequent über die gesamte Organisation abgestimmte Zielpyramide
nie realisieren läßt, werden immer Ziele vorkommen, die dem Unternehmensziel wenig bis nichts nützen
sondern nur dem, der das Ziel hat. Der wird sich in erster Linie um seine Ziel kümmern, ihm ist es egal,
ob es dem Unternehmen nützt oder nicht. Hauptsache er bekommt seine Prämie.

Das läßt sich auch auf ganze Bereiche übertragen. Wenn die Ziele nicht konsequent abgestimmt sind,
kann sich ein Bereich mit einem Thema beschäftigen und zum Ziel erheben, das möglicherweise nicht
mit Zielen anderer Bereiche kompatibel ist und dann sehr wahrscheinlich auch nicht dem Unternehmens-
erfolg zuträglich ist. So ist es bspw. Firmen bei der Einführung von Gruppenarbeit in Produktionsabteilungen
gegangen. Die einzelnen Gruppen haben zunächst versucht die Ziele ihrer eigenen Gruppe zu erreichen ohne Rücksicht auf die im Prozeß nachgelagerten Einheiten.
Wenn dann die Ziele nicht sauber abgestimmt sind, wird der Produktionsprozeß als Ganzes nicht optimiert.

Sind Zielpyramiden überhaupt möglich?


Eine Zielpyramide für alle Bereiche einer Unternehmensorganisation scheitert allein an dem hohen
Aufwand, der dafür notwendig wäre. Gewiß macht es Sinn - uns ist auch notwendig - ein Ergebnisziel für das Gesamtunternehmen auf die Produktgruppen und dann die Produkte runterzubrechen und diese Daten dann
auch als Ziele für eine Vertrieborganisation zu nutzen. Diese Ziele sind auch quantifizierbar und eindeutig.
Aber man sollte sich sehr genau überlegen, wie weit man sie runterbricht und für welche Abteilungen
das sinnvoll ist. Die Frage kann dann nur sein, ab welcher organisatorischen Ebene es sinnvoll ist, die
aus dem angestrebten Unternehmensziel abgeleiteten Daten als Rahmenvorgaben für die nachgeordneten
Einheiten zu sehen und die detaillierte Ausgestaltung den verantwortlichen Führungskräften zu überlassen.
Womit wir wieder bei Führung wären.
Im übrigen wird eine Organisation durch ein detailliertes Zielgerüst auch unflexibel. Wenn man von
Führungskräften verlangt, dass sie entscheiden sollen, muß man ihnen auch den Freiraum dazu geben
und darf sie nicht durch detaillierte Vorgaben einschränken.











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