Mittwoch, 27. Mai 2015

Wertschätzung II

Wie äußert sich wertschätzende Führung individuell?

Im letzten Post hatte ich die institutionalisierte Wertschätzung thematisiert, die beispielsweise in Arbeitsbedingungen zum Ausdruck kommt. Auch diese Form der Wertschätzung hat ihren Ursprung in individueller, persönlicher Wertschätzung. Von welcher Werthaltung ist jemand beeinflußt, der ausgeprägt kosten- und/oder profitorientierte Arbeitsbedingungen schafft? Letztendlich ist Wertschätzung immer eine persönliche Haltung, die wir anderen gegenüber einnehmen. Wir schätzen den Wert unserer Mitmenschen. Wir erkennen sie an, respektieren und achten sie, schenken ihnen Aufmerksamkeit und Interesse.

"Ich schätze Sie sehr, ich schätze Ihre Arbeit." ist der Satz, der dies zum Ausdruck bringt. Auf derartige Sätze legen wir großen Wert. Sie drücken Zuwendung aus und Zuwendung und Beachtung sind menschliche Grundbedürfnisse. Sie sind zwar unterschiedlich ausgeprägt, manche brauchen mehr, manche weniger, aber keiner kommt ohne aus. Auch wenn sich manche Führungskräfte den flapsigen schwäbischen Spruch "Nix geschwätzt, ist genug gelobt" zu eigen machen, ihre Mitarbeiter sehen das meist anders. Denn fehlende Wertschätzung ist ein weit verbreitet empfundenes Defizit. Doch da fängt auch schon das Problem mit der Wertschätzung an - auf beiden Seiten, bei den Empfängern und den Sendern.
Denn oft wird Wertschätzung mit Lob gleichgesetzt. Der Chef fühlt sich nicht in der Lage dem Mitarbeiter zu sagen, dass er seine Arbeit schätzt, weil er häufiger Fehler macht. Der Mitarbeiter fühlt sich vom Chef nicht beachtet und empfindet Verdruß bei seiner Arbeit. Doch gerade in kritischen Situationen wird deutlich, was Wertschätzung bedeutet. Zunächst ist es eine unteilbare Eigenschaft. Als Vorgesetzter muss ich jeden Mitarbeiter gleichermassen wertschätzen. Nicht nur die engagierten, braven und ordentlichen. Gerade dem der Fehler macht, muss ich eine Rückkopplung geben und die Chance, zu korrigieren und beim nächsten Mal es besser zu machen. Mitarbeiter wahrnehmen mit all ihren Stärken und Schwächen, mit ihnen reden, sich für sie interessieren, das gehört zu wertschätzender Führung. Das hat nichts mit Sympathie zu tun. Wenn mir jemand sympathisch ist, fällt mir Wertschätzung leicht. Aber sie gebührt auch dem, der mir nicht so sympathisch ist. Auch ein Kritikgespräch und selbst ein Kündigungsgespräch können/müssen von Wertschätzung geprägt sein. Das fängt damit an, dass man fair und sachlich die Gründe darlegt und erläutert und dem Mitarbeiter die Gelegenheit gibt, sich dazu zu äußern. Zuhören und Zeit nehmen sind elementare Formen der Wertschätzung, die heute drohen zu verkümmern. Der dauernde Blick aufs Handy während des Mitarbeitergesprächs ist alles andere als gelebte Wertschätzung. Beim Kündigungsgespräch und bei der Kündigung zeigt sich Wertschätzung in der Fairnis. Beim Aushandeln der Trennungsmodalitäten wird der Mitarbeiter nicht über den Tisch gezogen. Er bekommt die Abfindung, die ihm zusteht. Beim Formulieren des Zeugnisses wird nicht krampfhaft nach trickreichen Wendungen gesucht, um dem Mitarbeiter noch eins auszuwischen.
Aber auch die Mitarbeiter müssen lernen, dass kritisches Feedback Wertschätzung bedeuten kann. Dass der Chef nicht ständig und dann auch noch für selbstverständlich zum Job gehörende Leistungen loben kann. Und sie können ruhig auch einmal auf die Idee kommen, dem Chef eine positive Rückmeldung zu geben.

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