Freitag, 12. Dezember 2014

Mythos Zwischenzeugnis

Immer wieder überschätzt: das Zwischenzeugnis. Öfter habe ich meiner Praxis die Situation erlebt, dass Mitarbeiter nach einem Zwischenzeugnis gefragt haben, mit der Begründung "damit ich weiß, wo ich stehe." Und das in einem Unternehmen, in dem ein Beurteilungssystem praktiziert wurde. Diese Begründung ist sicher die, die am wenigsten für die Erstellung eines Zwischenzeugnisses spricht. Denn wie der Chef einen sieht, sollte einem klar sein. Erst recht dann, wenn regelmäßig Feedbackgespräche stattfinden. Das es damit allerdings oft hapert, fördert auch den Wunsch nach Zeugnissen.
Oft kommt der Wunsch tatsächlich aus einer schon bestehenden oder sich andeutenden Konfliktsituation und der Mitarbeiter will seine - aus seiner Sicht natürlich immer positive - Leistung dokumentiert haben. Er weiß zudem, dass der Arbeitgeber an die Aussagen des Zwischenzeugnisses später bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Abschlusszeugnis gebunden ist und er weiss, dass die Formulierungen in Zeugnissen gewissen Regeln unterliegen. Diese Aspekte können tatsächlich für ein Zwischenzeugnis sprechen, allerdings nur dann, wenn der Konflikt mit dem Chef/Arbeitgeber schon so eskaliert ist, dass es auf eine Trennung hinausläuft.
Wenn ein Arbeitsverhältnis normal läuft, gibt es keinen Grund für ein Zwischenzeugnis. Ich habe dieser Tage das Zitat eines Karrierecoaches gelesen: "Wer sich damit aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus bewirbt, ist im Vorteil." Dem möchte ich deutlich widersprechen. Wer sich aus einem Arbeitsverhältnis heraus bewirbt, hat in der Regel kein Zwischenzeugnis und es wird auch nicht erwartet. Es gibt zwei Situationen, in denen es angebracht sein kann, ein derartiges Dokument anzufordern. Eine Versetzung oder eine organisatorische Veränderung, die einen Tätigkeitswechsel mit sich bringt und bedingt auch bei einem Vorgesetztenwechsel. Wer nun in einer Bewerbung ein Zwischenzeugnis vorlegt ohne einen dieser beiden Anlässe, regt eher zu Misstrauen an - HR-Leute sind beim Bewerbungslesen nun mal misstrauisch. Warum hat er ein Zwischenzeugnis? Hat er möglicherweise Streit? Und wenn das Papier dann noch einige Jahre alt ist, nimmt die Relevanz nochmal ab.
Hinzu kommt, dass Zeugnisse bei Bewerbungen mittlerweile sowieso eine zwiespältige Bedeutung haben. Eben weil sie bezüglich ihrer Formulierungen Einschränkungen und Regelungen unterliegen und gerade in Streitfällen die Zeugnisse gewöhnlich von den Anwälten diktiert werden.
Auch wenn ein wohlklingendes Zeugnis vielleicht ihrem Ego guttut und sie es zu Hause ihren Lieben unter die Nase halten können, mehr Nutzen haben sie davon nicht und außerdem machen sie den Kollegen in der Personalabteilung zusätzlich Arbeit.

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