Dienstag, 16. Dezember 2014

Sind Zielvereinbarungssysteme Führungskrücken?


Es gibt wenige Instrumente, die eine solche Verbreitung gefunden haben und vor allem einen solchen Glauben an ihre Wirkung und Sinnhaftigkeit erzeugt haben, wie Zielvereinbarungssysteme. Sogar über die Anwendung in Unternehmen hinaus hat sich dieses Instrument verbreitet und in Kliniken, Hochschulen und sonstigen Institutionen seinen fragwürdigen Einzug gehalten.

Womit erklärt sich dieser Erfolg? Zu einem wesentlichen Teil auch damit, dass Zielvereinbarungssysteme eine Funktion als Führungskrücke erfüllen. Dies tun sie unter zwei Aspekten:
Sie formalisieren eine klassische Führungsaufgabe, die Auftragsvergabe und deren Kontrolle.
Zweitens wird ihnen eine motivationsfördernde Kraft zugeschrieben, wenn sie mit erfolgsabhängigen Entgeltbestandteilen verknüpft werden.
Nun mag man zu dem ersten Punkt die Etikettierung als Führungskrücke für ungerechtfertigt halten. Dient es doch zumindest in der Theorie ohne Zweifel der organisatorischen Effizienz, wenn im Rahmen einer Zielpyramide aus dem Hauptziel der Organisation die für die einzelnen Teilbereiche relevanten Unterziele abgeleitet werden können. Somit ist sichergestellt, dass alle letztendlich auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten und nicht durch abweichende Teilziele Kapazitäten falsch eingesetzt werden. Wenn das mit einer Entlastung bei der Führungsarbeit einhergeht, kann doch eigentlich nichts dagegen einzuwenden sein. Die Führungskräfte bekommen ein oder mehrere Ziele vorgegeben und müssen diese an Ihre Nachgeordneten weitergeben. Sie müssen sich bezogen auf diese Vorgaben nicht selbst überlegen, welchen Beitrag sie mit ihrem Verantwortungsbereich für den Erfolg des Unternehmens leisten. Doch läßt sich in der Praxis eine Zielpyramide so gut wie nie konsequent durch die ganz Hierarchie durchhalten. Eine Erhöhung der Umsatzrendite läßt sich beispielsweise nur schwer - vor allem messbar - in die operativen Ziele des Personalwesens herunterbrechen. Am besten funktioniert es mit Kostensenkungszielen. Zehn Prozent Kostensenkung lassen sich sehr leicht durchreichen. Deswegen (natürlich nicht nur) wird dieses Ziel auch so gerne genommen. Das Zielvereinbarungssystem, insbesonndere, wenn es mit variablen Einkommensbestandteilen verknüpft ist, führt aber unweigerlich dazu, dass die Betroffenen sich zunächst auf die Erreichung der Ziele konzentrieren und anderen Aufgaben weniger Aufmerksamkeit schenken. Darunter fällt dann oft auch ein Teil der Führungsaufgabe. Die Zielerreichung wird schon als das wesentliche Merkmal für die Erfüllung des Jobs gesehen. Von beiden Seiten übrigens - Vorgesetzten wie Mitarbeitern. Übt der Chef möglichherweise einmal Kritik, hält der Kritisierte ihm seine hundertzehnprozentige Zielerreichung vor. Hier wird ein Effekt von Führungskrücken besonders deutlich: Das Instrument wird wichtiger als das, wovon es eigentlich entlasten soll. Die Konzentration gilt der Erreichung der Prämie und damit der Optimierung der eigenen Zielerreichung. Ob das der Gesamtorganisation dient, gerät in den Hintergrund. Wie anders wäre es zu erklären, wenn der Zielerreichungsdurchschnitt in einem Unternehmen kontinuierlich über hundert Prozent liegt, die Umsatzrendite aber ebenso kontinuierlich sinkt.
Die Krückenfunktion wird auch bei dem Aspekt der Motivation deutlich. Es herrscht immer noch der Glaube, die Mitarbeiter liessen sich über Geld ausreichend motivieren. Man braucht nur die Ziele so zu stricken, dass die Mitarbeiter gute Chancen haben, eine ordentliche Prämie zu erreichen und hat damit einen wesentlichen Beitrag zu deren Motivation geleistet.
Zielvereinbarungssysteme haben also durchaus die Funktion von Führungskrücken. Was die Auftragserteilung und deren Kontrolle angeht, wird sie zwar dankbar genutzt, kann sie aber nicht wirksam einbringen.

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