Es gehört ja zum guten Ton in der Managementlyrik möglichst viele Anglizismen unterzubringen. Also biete ich hier auch eine englischsprachige Version meines schon öfter gebrauchten Begriffs Führungskrücke an. Was ist damit gemeint? Krücken sind Hilfsmittel, die eine körperliche Bewegungseinschränkung dauerhaft oder auch zeitweise ausgleichen sollen. Dementsprechend sind auch Führungskrücken Hilfsmittel, die Defiziten bei der Ausübung der Führungsfunktion abhelfen sollen. Eine klassische Führungskrücke sind Beurteilungssysteme.
Es ist normalerweise elementarer Bestandteil der Führungsaufgabe mit den Mitarbeitern Gespräche zu führen und ihnen ein Feedback - kritisch wie auch positiv - zu ihrer Leistung zu geben. Weil sich aber viele Führungskräfte damit schwer tun, wurden Hilfsmittel erfunden, die ihnen dies erleichtern sollen. Das Verfahren wurde ritualisiert, mit Fristen unterlegt, um wenigstens Mindestzeiträume einzuhalten, innerhalb denen ein Gespräch geführt werden sollte. Es wurden Formulare und Notensysteme kreiert und natürlich auch Trainings, damit die Führungskräfte in die Lage versetzt werden, ihrer Aufgabe nachzukommen. Dass man dann in Tarifverträgen noch finanzielle "Leistungszulagen" an die Beurteilung geknüpft hat, hatte allerdings dieselbe Wirkung, wie man an eine Gehhilfe zusätzliche Gewichte hängen würde. Weitere Beispiele für Führungskrücken sind viele Details in Arbeitszeitregelungen und auch Zielvereinbarungen sind im Grunde Führungskrücken. Bei einer Arbeitszeitregelung wird die klassische Kontrollfunktion des Vorgesetzten an ein System delegiert. Ein Zielvereinbarungssystem formalisiert die ebenfalls klassische Führungsaufgabe Aufträge an die Mitarbeiter zu erteilen und deren Einhaltung sicher zu stellen. Natürlich entlastet all dies die Führungskraft. Aber es birgt auch Gefahren. Eine der Gefahren ist eine Reduzierung. Bei der Arbeitszeit die immer noch zumindest unterschwellig verbreitete Haltung, wer lange am Arbeitsplatz ist, muss auch fleißig sein. Bei der Zielvereinbarung wird das Aufgabenspektrum einer Funktion auf die vereinbarten Ziele reduziert. Wenn die erreicht werden, ist der Mitarbeiter erfolgreich. Derartige Systeme unterstellen immer auch den Mitarbeitern, dass sie nicht oder nur eingeschränkt in der Lage sind, ihren Job zu erledigen.
Die größte Gefahr von Führungskrücken liegt in ihrer Entlastungsfunktion selbst. Durch sie werden Schwächen von Führungskräften kaschiert. Die Führungsfunktion wird auf die Kontrolle der Abweichungen von den vorgegebenen Werten reduziert und damit einhergehend auf die taktischen Versuche diese Abweichungen möglichst zu vermeiden. Um im Bild der medizinisch verordneten Krücke zu bleiben: Wenn der Fuß gebrochen ist, wird die Krücke nur solange genutzt, wie die Gehfähigkeit eingeschränkt ist. Würde sie weiter gebraucht, würde die Funktionsfähigkeit des Fußes verkümmern. Eine Krücke wird nur dann dauerhaft genutzt, wenn auch die entsprechende Körperfunktion dauerhaft nicht mehr vorhanden ist. Auf die Führungsaufgabe übertragen darf es diesen Zustand eigentlich nicht geben. Einer Führungskraft, die dauerhaft auf Krücken angewiesen ist, fehlt es auf Dauer auch an Kraft für ihre Aufgabe.
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