Freitag, 12. September 2014

Überstunden

Deutschlands Arbeitnehmer sind Europameister im ableisten von Überstunden. Zitat des EU-Sozialkommissars in der Zeitung "Die Welt": "In keinem Land in der Eurozone gibt es einen so großen Unterschied zwischen der tarifvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit und der tatsächlichen Wochenarbeitszeit..." Bezogen auf Durchschnittswerte arbeiten die Beschäftigten in Deutschland 2,8 Stunden mehr in der Woche. Dieser Wert klingt nicht unbedingt dramatisch, aber - wie gesagt - es ist ein Durchschnittswert. Offensichtlich scheinen auch viele Arbeitnehmer mit den Überstunden keine großes Problem zu haben, insbesondere dann nicht, wenn sie durch Geld oder Freizeit abgegolten werden.
Damit aber hapert es in Deutschland. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) werden nur weniger als die Hälfte bezahlt. Dieser Befund dürfte einmal der Tatsache geschuldet sein, die ich im letzten Post beschrieben habe: in vielen Unternehmen, die keinem Tarifvertrag unterliegen ist es beinahe üblich, dass Überstunden als Selbstverständlichkeit erwartet werden. Aber auch in tariflich gebundenen Unternehmen ist es ein gern gepflegter Brauch, dass Mehrarbeitsstunden verfallen. Die meisten Gleitzeitregelungen beinhalten Fristen, nach denen die Überstunden verfallen, die bis zu einem gewissen Zeitpunkt nicht abgefeiert wurden. Dabei werden die Beschäftigten, die penibel ihr Zeitkonto pflegen, manchmal von den Chefs etwas kritisch beäugt. In der Tat sollte man auch als Mitarbeiter eine gewisse Flexibilität zeigen und nicht auf die minutengenaue Einhaltung der vereinbarten Arbeitsszeit achten, besonders dann nicht, wenn man im Rahmen einer Gleitzeitvereinbarung arbeiten kann. Für viele Beschäftigten ist das auch kein Problem. Die Mehrarbeitszeit ist in den einschlägigen Untersuchungen meist nicht das Hauptproblem, wenn es um die Arbeitsbelastung geht. In einer Studie mit Arbeitnehmern aus der Schweiz wird eine tägliche Arbeitzeit über 10 Stunden erst an neunter Stelle der Belastungsfaktoren genannt. An erster Stelle stehen ungeplante Unterbrechungen, gefolgt von Arbeiten mit hohem Tempo (Zit. nach Neue Zürcher Zeitung, 5.9.14). Das dürfte in Deutschland kaum anders sein.
Unter Überstunden werden im geläufigen Sprachgebrauch meist die Stunden verstanden, die im Büro oder in der Fabrik abgeleistet werden. Der Mailcheck am Wochenende oder das Handytelefonat am Abend sind üblicherweise noch nicht enthalten. Auch die in tariflich gebunden Unternehmen begehrten Außertariflichen Verträge (AT) entpuppen sich oft als Mogelpackung. In den tarifnahen Rangstufen ist meist noch eine Wochenarbeitszeit vereinbart, deren Überschreitung aber oft erwartet wird. Meist sind Klauseln enthalten, dass Mehrarbeit bis zu einer gewissen Grenze nicht vergütet wird. Die Benefits aber, die der Vertrag darüberhinaus noch enthält, gleichen oft die tatsächlich geleistete Arbeitszeit nicht aus.
Das alles ist den detailfreudigen FTE-Berechnern egal (FTE =  Full-Time-Equivalent)            
Bei der Personalbemessung wird eine Größe vorgegeben mit der auch nachher die Produktivität errechnet wird. Die verfallene Mehrarbeit ist dann wirklich verfallen.

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