Donnerstag, 1. Dezember 2022

Was hätten Sie an Stelle der Nationalmannschaft gemacht?

Neuers Armbinde als Opportunismustest

Stellen sie sich vor, sie sind jemand, der eine 'gute Presse' im Unternehmen hat und auch von der Chefin positiv gesehen wird. Sie haben einen Kollegen, der gerne mal dieser Chefin widerspricht - zuweilen auch nicht unberechtigt. Die Chefin gibt ihnen dezent zu verstehen, dass sie sie für die anstehende Projektleitung ins Auge gefasst habe und nicht den kritischen Kollegen. Im Inneren können sie dessen kritischen Amerkungen zu dem Projekt durchaus zustimmen.
Sprechen sie mit der Chefin offen darüber, dass auch sie dem Projekt mit Vorbehalten gegenüber stehen?

Sie sind Abteilungsleiter und hören, wie der CEO mit Leidenschaft bei einem Management-Meeting fordert, das Unternehmen müssen agiler werden und habe deshalb einen Berater beauftragt, um in einem groß angelegten Change-Projekt das Unternehmen fit für die Zukunft zu machen.
Ergreifen sie das Wort und weisen darauf hin, dass die letzte Aktion dieser Art vor drei Jahren eigentlich noch nicht richtig abgeschlossen sei und eine ehrliche Evaluierung noch ausstehe?

Können sie beide Fragen offenen Herzens mit 'Ja' beantworten? Dann wohlan, wettern sie aufrichtig gegen die Rückgratlosigkeit des DFB und seiner Repräsentanten. 
Wenn die Überzeugung mit 'Ja' zu antworten nicht ganz so ausgeprägt ist - der Autor schließt sich reumütig an - , dann sollten wir mit Kritik an Herrn Neuer und seinen Kollegen etwas zurückhaltend sein.
Lassen wir das immer passende Argument 'Das kann man nicht miteinander vergleichen' mal beiseite.
Reden wir stattdessen über die Haltung, die eigenen Interessen, den eigenen Vorteil, zum Nachteil einer anderen Position, selbst wenn diese richtiger, besser ist, in den Vordergrund zu stellen. 
Ist die nicht in vielen Organisationen (den meisten?) üblich und erwartete Praxis? Auch wenn oft das Gegenteil behauptet wird, Opportunismus wird geradezu gefördert. Es ist gut, dass der Begriff 'Querdenker' mittlerweile in Verruf geraten ist. Deren Fehlen in Unternehmen wurde zwar immer wieder bemängelt, aber ernsthaft um ihre Gewinnung hat sich auch niemand bemüht. Das liegt aber schon daran, dass meist nicht klar ist, was genau damit gemeint ist.
Es ist auch nicht so einfach mit dem Opportunismus. Die Grenze zur Anpassung ist sehr fließend. Jedes Unternehmen und jede Organisation muß bei den Mitgliedern ein gewisses Maß an Anpassung voraussetzen. Rgeln müssen eingehalten, Anweisungen befolgt werden. Sonst funktioniert es nicht.
Aber weil die Grenze fließend ist, müssen Unternehmen vorsichtig mit dem Verlangen nach Anpassung umgehen. Es reicht nicht, selbständiges Arbeiten zu propagieren und zu verlangen, man muss auch die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Auch eine großzügige Home-Office-Regelung sagt noch nichts über den 'Anpassungsindex' im Unternehmen aus. Wenn es im obigen Beispiel tatsächlich möglich wäre, in dem Meeting unbefangen mit dem CEO über das geplante Change-Projekt zu diskutieren und kritische Erfahrungen aus vergangenen Aktionen dieser Art zur Sprache zu bringen, dann wäre das schon mal ein guter Schritt. Wenn nicht sofort die Vokabel 'Bedenkenträger' fällt, wenn jemand eine kritische Frage stellt, das könnte schon ein gutes Zeichen sein.
Es kommt vor allem auf die Führungskräfte selbst an. Sie können Mitarbeitenden, die zu Opportunismus neigen, zu verstehen geben, dass sie darauf nicht anspringen. Es gibt Beschäftigte, die Opportunismus sehr gut zu dosieren wissen und nicht wenige Chefs empfinden das durchaus als angenehm. Hier gilt es freundliche Souveränität zu zeigen. Aber auch Vorgesetzte können den Mitarbeitern gegenüber opportunistisch sein. Wenn sie zur Vermeidung von Diskussionen beispielsweise auf eine eigentlich notwendige kritische Beurteilung verzichten oder diese nur sehr weichgepült vermitteln.
Es gibt im Unternehmensalltag regelmäßig Gelegenheiten opportunistsch zu sein, aber auch Opportunismus zu vermeiden. Es nicht notwendig nach Querdenkern zu rufen, wenn man dafür Sensibilität entwickelt. Vielleicht kann die Diskussion um Neuers Armbinde die ja fördern.
 
 
 

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