Samstag, 13. Februar 2021

Die Zukunft nach Corona

Verspätete Rezension eines Buches, das zu früh geschrieben wurde

Wann ist der geeignete Zeitpunkt ein Buch zu rezensieren, das von der Zukunft handelt? 
Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat am 15. März im Internet einen Text mit dem Titel "Die Zukunft nach Corona" veröffentlicht. Dieser Text hat damals im Netz für Furore gesorgt. Auch ich habe ihn dreimal über Whatts App erhalten und mich damals an dieser Stelle schon mit ihm beschäftigt. Diese Resonanz hat Horx wohl dazu verführt den Text zu einem Buch aufzublasen, das es bis Juni 2020 schon in die dritte Auflage geschafft hat.
Nun erwartet man von einem Zukunftsforscher ja, dass er sich über die Zukunft Gedanken macht und uns vielleicht erahnen läßt, wohin die Reise geht. Aber man geht auch davon aus, dass er das auf einer empirisch fundierten Analyse der Gegenwart tut. Und vor allem erwartet man, dass aktuelle Entwicklungen nicht einfach in die Zukunft verlängert und dann noch zu einem Trend aufgemotzt werden. Das war in der Vergangenheit eine der Horxschen Hauptbeschäftigungen. Damit war und ist er allerdings nicht alleine. Gerade die Corona-Zeit scheint viele dazu zu verführen, sich als Propheten zu betätigen.
Mit diesem Werk hat er allerdings mehr vor. "Wer wissen will, wie die Krise 'ausgeht'.....den verweise ich an Presse, Funk und Fernsehen und die üblichen Experten." Meister Horx hat Größeres im Sinn: "Mein Buch hingegen dient der Erforschung eines anderen, bislang eher unbekannten Kontinents: unserer inneren Zukunft." Damit stellt er aber auch die Weiche weg vom Versuch der möglichst konkreten Prognose und öffnet das Scheunentor ins wabernd Diffuse.
Gleich der erste Satz zeigt, dass er sich nicht mit einer empirischen Analyse der Gegenwart aufhalten will. "Eigentlich war das anders ausgemacht. Es war ausgemacht, dass das Leben immer so weiter geht, immer geradeaus." Natürlich würden wir uns das manchmal gerne wünschen. Aber nur manche von uns und nur in bestimmten Situationen. Auch schon vor Corona  musste man mit einer gehörigen Portion Naivität geschlagen sein, um davon auszugehen, dass alles so weitergeht. Wurde und wird uns nicht dauernd klar gemacht, dass es nicht so weitergehen kann und nicht so weitergehen wird? Die Stichworte Klimawandel und Digitalisierung mögen reichen.
Und so geht es weiter. Auf zwei Seiten (von 130) beschäftigt er sich mit dem "System der Wirtschaft". Er behauptet "Die Krise erzeugt eine evolutionäre Drift in Richtung einer 'Donut-Ökonomie'." In wenigen Zeilen beschreibt er dann diesen Ansatz einer englischen Ökonomin ohne aber einen einzigen Gedanken darauf zu verschwenden, wie sich das aktuelle, auf Gewinnerzielung und auch -maximierung ausgerichtete Wirtschaftssystem dorthin verändern soll. Vielleicht ist er ja in seinem abgebrochenen Soziologiestudium nicht bis zur Beschäftigung mit Karl Marx vorgedrungen. Dann wäre ihm die Bedeutung des "Systems der Wirtschaft" für die gesellschaftliche Entwicklung etwas bewußter geworden.
Er will zwar keine Aussagen darüber machen, wie die Krise ausgeht, dafür reiht er aber immer wieder eine kühne Behauptung an die andere. Kleines Beispiel: "Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass Fußballstars in Zukunft  öffentlich vergoldete Schnitzel essen." Wir brauchen nur in einschlägige Internetportale zu schauen, um zu sehen, zu wieviel Blödsinn Menschen noch fähig sind und immer fähig sein werden. Oder: "Und schließlich war die Corona-Krise auch jener verlängerte Moment, in dem die Bösartigkeit fast gänzlich aus unserem Leben verschwand.....nicht ganz verschwand - aber unwichtig wurde." Schön wär's - wo lebt dieser Mann?, möchte man fragen. Liest er keine Zeitung?
Die Methode, die Horx uns zur Erreichung dieser positiven Zukunft anpreist, nennt er "Re-Gnose". Es geht darum, eine (positive) Vorstellung von Zukunft zu entwickeln, die dann wieder zurückprojiziert auf unsere Gegenwart uns dazu bewegt, den gewünschten Zustand zu erreichen. Dass das ein tückisches Unterfangen ist, wenn man die aktuelle Situation ignoriert, machte seine Einschätzung der Entwicklung in China deutlich. "Auch in China hat sich in den Tiefenstrukturen womöglich etwas verändert."
"Womöglich....", zur Zeit deutet in China nichts auf eine Veränderung hin, auch nicht in den Tiefenstrukturen, was immer damit gemeint ist. 
Nebenbei: von der Möglichkeit einer "zweiten Welle" und ihren Auswirkungen auf all das, was Horx sich für die Zeit nach Corona - bei ihm immerhin schon ab Herbst 2020 - erträumt, ist an keiner Stelle des Buches die Rede. Vielleicht hätte man die mit einer intensiven Re-Gnose ja auch verhindern können.
Gönnen wir uns noch den Schlusssatz: "Ich bin fest davon überzeugt, dass der Schlüssel zur wahren Zukunft in unserem Bewußtsein liegt. In der Art und Weise, wie wir uns - als Individuen, Gesellschaft, Unternehmen, Zivilisation - selbst konstruieren. Aus dieser seltsamen Schleife entsteht Wandel im Sinne von Selbst-Veränderung, die auch zur Welt-Veränderung führt."
So wird mit einem Satz alle Komplexität dieser Welt wegkonstruiert.


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