Dienstag, 29. Dezember 2020

Neue Arbeitswelt

Neu im Job - und nur im Home Office

Eine Mitarbeiterin fängt einen neuen Job an. Der gesamte Bewerbungsprozeß einschließlich Vorstellungsgesprächen lief nur online. Die ersten Arbeitsmonate fanden im Home Office statt.
Eine Abteilung erhielt vor Monaten eine neue Chefin. Die Mitarbeiterinnen haben sie bisher noch nicht persönlich kennengelernt. Sie arbeitet nur im Home Office.
Zwei tatsächlich erlebte Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit. Man sollte sie nicht vorschnell als coronabedingte Notlösungen abtun. Das sind die Vorboten der neuen Arbeitswelt. Diese Entwicklung wird weitergehen. Sie wird sich zunächst vielleicht wieder etwas verlangsamen, wenn die Pandemie im Griff ist. Es wird wieder mehr Bürotage geben, aber die örtliche und zeitliche Arbeitsflexibilität wird zuehmen. Ebenso sollte man mit Urteilen vorsichtig sein. Ist das gut oder schlecht? Es ist auch noch zu früh schon über Vor- und Nachteile zu sprechen.
Die Entwicklung ist in der Tat noch zu sehr durch das Zurechtkommen mit der Coronasituation geprägt. Wir sollten sie deshalb unvoreingenommen und ohne Dramatik beobachten. Sprüche wie Es wird nie mehr so sein wie es war sind nur banal. Auch in normalen Zeiten wird es morgen anders sein wie es gestern war.
Gewiss werden jetzt allenthalben Umfragen zitiert, nach denen sich die Beschäftigten keinen Dauereinsatz im Home Office vorstellen können und sich zumindest ab und zu den persönlichen Austauch mit den KollegInnen wünschen. Wir sollten bei diesen Befunden einmal kurz an die digitalen Nomaden denken, die irgendwo auf der Welt vor ihrem Laptop sitzen und überhaupt keine leibhaftigen KollegInnen oder Chefs mehr haben. Wenn unsere oben zitierte Mitarbeiterin ihre ersten drei Arbeitsjahre im Home Office zugebracht hat, wird ihr die Arbeit in einem Großraumbüro möglicherweise auch befremdlich vorkommen. Wenn die MitarbeiterInnen sich irgendwann daran gewöhnt haben, dass die Chefin nur von zu Hause arbeitet, werden sie vielleicht Umstellungsprobleme haben, wenn der Nachfolger wieder mehr Präsenz zeigt und diese womöglich auch von seinen Leuten erwartet. Manchen ist es sicherlich auch ganz recht, wenn der Chef weit genug weg ist.
Man kann also davon ausgehen, dass das aktuell in Umfragen geäußerte Defizit von persönlicher Kommunikation mit den KollegInnen und Chefs zum Teil auch der bisherigen Gewohnheit aus herkömmlichen Arbeitsverhältnissen geschuldet sein dürfte.
Andererseits ist der Mensch ein soziales Wesen. Er ist auf Kommunikation angewiesen. Gerade Arbeitsverhältnissen wird eine große Bedeutung im Hinblick auf die Vermittlung von Anerkennung und Bestätigung oder auch als Quelle zur Befriedigung des Statusbededürfnisses zugeschrieben. Arbeitsverhältnisse erfüllen eine Integrationsfunktion.
Es wäre ein interessanter Versuch MitarbeiterInnen über einen längeren Zeitraum zu beobachten, die ihre Arbeitszeit fast ausschließlich im Home Office zubringen. Haben sie das Bedürfnis, ihre KollegInnen und Vorgesetzten irgendwann einmal persönlich kennenzulernen? Oder könnte sich das Arbeitsverhältnis auch so entwickeln, dass sie kein Defizit in dieser Hinsicht mehr empfinden? Eine Entwicklung, die wir unvoreingenommen beobachten sollten.
Wie sie auch immer verläuft, das Bedürfnis nach persönlicher Führung wird sich dadurch nicht wegrationalisieren lassen. Wenn es notwendig ist, kann man auch per Video persönliches und indivduell angemessenes Feedback geben oder ein Personalentwickungsgespäch führen. Es ist allerdings zu befürchten, dass diese Kommunikation unter dieser Arbeitsweise noch mehr leiden wird, als sie es heute schon tut.

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