Ein schwer greifbares Phänomen
Anlaß für diesen Post ist das Buch von Stefan Kühl, "Laterales Führen". Es soll hier allerdings nicht darum gehen, das Buch zu rezensieren, sondern vielmehr das Konzept als solches zu diskutieren. Eine Bemerkung zu dem Büchlein (76 S.) dennoch vorab: Wer sich über laterale Führung informieren will, kann es gerne zur Hand nehmen. Es ist verständlich geschrieben und bietet in kompakter Form einen guten Einstieg und Überblick. Die Leserin sollte jedoch nicht überrascht sein, wenn sie das Buch nach der Lektüre etwas ratlos zur Seite legt. So ist es mir jedenfalls gegangen. Das liegt weniger an dem Buch, als an dem Ansatz selbst.
Laterales Führen bedeutet eigentlich "Führen zur Seite" und soll einen Führungsansatz jenseits der Hierarchie aufzeigen. Kühl selbst macht auf den Widerspruch aufmerksam, der schon in dem Begriff liegt. "Wie kann man führen, wenn man keine Weisungsbefugnis hat?" (S.2) Vielleicht liegt in diesem Widerspruch schon das Unwohlsein begründet, das einen bei der Auseinandersetzung damit überkommt.
Auch die Frage, warum sich Laterale Führung bisher nicht so in den einschlägigen Medien breit gemacht hat, wie beispielsweise die agile Organisation, läßt sich möglicherweise damit beantworten. Dabei könnte der Ansatz der lateralen Führung durchaus gut in den aktuellen Trend der hierarchiekritischen Diskussion passen. Laterale Führung klingt allerdings auch nicht so flott wie agile Organisation.
Dankenswerterweise läßt der Autor keinen Zweifel daran, dass es immer Hierarchien geben wird. "....solange es Organsiationen gibt, (wird) es auch Hierarchien geben." (S.1) Eine Aussage, die im Moment leider nicht unbedingt als zeitgemäß gilt. Laterale Führung soll dann greifen, "wenn keine entsprechenden hierarchischen Weisungsbefugnisse zur Verfügung (stehen)"(S.13) "Laterales Führen stellt eine Alternative zu vielen Führungstechniken dar, weil es nicht vorrangig auf der Ebene persönlicher Führungskompetenzen ansetzt, sondern sytematisch an die Organisation und ihre Strukturen rückgebunden wird." (S.13) "Es steht nicht mehr die charismatische Führungskraft im Mittelpunkt, sondern eine systematische in eine Organisationsstruktur eingebundene Vorgehensweise der Organisationsmitglieder." (S.13)
Die laterale Führung spielt sich also jenseits der Hierarchie ab, ist aber dennoch ohne sie nicht denkbar.
Leider erwähnt Kühl Anwendungsbeisspiele nur stichwortartig. Man würde gerne erfahren wie in den erwähnten Beispielen laterale Führung konkret eingesetzt wurde. Dass in einem abteilungsübergreifenden Projekt dessen Organisation mit der formalen Hierarchie in Konflikt geraten kann und dass dann oft informelle Kräfte wirksam werden, ist nun keine neue Erkenntnis mehr. Letztendlich sind es aber doch Hierarchen mit ihrer Weisungsbefugnis, die ein derartiges Projekt vorantreiben.
Kühl beschreibt Macht, Verständigung und Vertrauen als die wesentlichen Einflussmechanismen des lateralen Führens. (Leider muss man der Stelle kritisch anmerken, dass Kühl als Soziologe sich nicht an die Unterscheidung von Macht und Herrschaft nach Max Weber hält und stattdessen nur von Macht spricht, obwohl es meist um Herrschaft geht.) Diese drei Mechanismen werden aber genauso in hierarchischen Strukturen wirksam. Es ist ja nicht so, dass Hierarchie eine Organisation gewissermaßen zu einer Maschine macht, in der alle Abläufe regelgemäß, mechanisch ablaufen. Es sind ja, Gott sei Dank, Menschen am Werk. Insofern stellt sich die Frage, was hierarchisches Führen kennzeichnet und wann es in laterales übergeht. Wäre hierarchische Führung mehr durch formales Handeln gekennzeichnet und laterales eben durch informelles in Form von Machtausübung oder Verständigung und Vertrauen?
Kühl erwähnt das Beispiel, wenn Kooperationspartner unterschiedlicher Unternehmen koordiniert werden müssen. Hier muss man allerdings fragen, ob es sich um eine klassische Führungsbeziehung handelt. Natürlich geht es um Einflußnahme, oft auch zwischen ungleichen Partnern, aber nicht in Form einer hierarchischen Über- und Unterordnung. Insofern kann man hier nicht von Führung sprechen.
Die drei Mechanismen Macht, Verständigung und Vertrauen sind zu allgemein und finden sich in nahezu allen zwischenmenschlichen Beziehungen. Auch das trägt dazu bei, dass man nach der Lektüre des Büchleins nicht so recht weiß, welchen Erkenntnisgewinn man daraus ziehen soll und wie man sich die Anwendung in der Pracxis vorstellen soll.
Vielleicht ahnt das der Autor selbst, wenn er schreibt, "Unserer Meinung nach gibt es für eine pauschale Propagierung von lateralen Kooperationsbeziehungen keinen Grund. Vielmehr scheint es unseres Erachtens wichtig zu sein, eine Entscheidung für laterale oder hierarchische Kooperationsbeziehungen vor dem Hintergrund der organisatorischen Situation zu treffen." (S.64) Sofern es diese Entscheidung tatsächlich gibt.
Stefan Kühl, Laterales Führen, Eine kurze organisationstheoretisch informierte Handreichung.
Alle Seitenangaben beziehen sich auf dieses Buch
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