Freitag, 30. Oktober 2020

Wieviel Flexibilität geht eigentlich?

Diskussionen um die Zukunft der Arbeit werden oft engstirnig geführt

Da hat ein "ZP Thinktank Future of Work" fünf Thesen zu eben diesem Thema formuliert. Wie üblich wird die Veröffentlichung des Thesenpapiers mit lautem Drohgetrommel in Richtung HR begleitet. Allein die Überschrift sagt schon vieles: "Zukunft der Arbeit: HR - Du hast (k)eine Chance, nutze sie". Entsprechend anspruchsvoll ist die Zielsetzung. HR soll aufgerüttelt werden und sich - wieder einmal - neu ausrichten.
Schauen wir uns beispielhaft die erste These an, die sich mit Flexibilisierung beschäftigt.
Arbeit wird zunehmend flexibel, fluide, und hybrid hinsichtlich Ort, Zeit, Organisationszugehörigkeit und Selbstverständnis.
Da ist alles reingepackt, was zur Zeit so zum Mode-Sprech über die Zukunft der Arbeit gehört.  Auch diesem Thinktank gehört, wie üblich, ein Quotenprofessor an. Diesem scheint es allerdings nicht gelungen zu sein, seinen MitstreiterInnen etwas Wissenschaftlichkeit zu vermitteln.
Störent bei derartigen Thesen ist immer, dass sie vermeintliche Trends einfach in die Zukunft verlängern. Als ob sich Flexibilität unbegrenzt steigern ließe. Natürlich kann Arbeit flexibler werden. Aber man muss doch fragen, wo sind die Grenzen dieser Flexibilität? Wie weit können und wollen die Beschäftigten diese Flexibilität mitmachen? Meine Gegenthese lautet hier immer: Die Organisationen, die ihren MitarbeiterInnen verläßliche und faire Strukturen und Arbeitsbedingungen bieten, werden die höchste Mitarbeiterbindung erzielen. 
Bei einer seriösen Heransgehensweise an dieses Thema würde man erst einmal fragen, was ist denn eigentlich mit Arbeit gemeint? Es wird immer eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen geben, die an stationäre Produktions- und Leistungserstellungsprozesse gebunden sind, die feste Arbeitsplätze haben oder auf stabile logistische Strukturen angewiesen sind.
Gerade die aktuelle Corona Situation müsste uns doch soviel Demut vermittelt haben, keine
voreiligen und vollmundigen Prognosen zur Zukunft abzugeben. Gerade wenn man von Flexibilität redet, muss einem doch bewußt sein, dass auch prognostische Aussagen nur eine geringe Halbwertszeit haben.
Die Formulierung von Thesen ist ein sinnvolles und notwendiges Instrument der Erkenntnisgewinnung. Aber diese Thesen müssen mit einem differenzierenden Blick auf die Realiltät formuliert werden. Bei den Thesen zur Zukunft der Arbeit, nicht nur bei der hier zitierten, fällt auf, dass sie die Realtät der aktuellen Arbeitswelt oft vollkommen ausblenden.
Welches Maß an Flexibilität wird heute schon verlangt? Wo ließe sich diese überhaupt noch steigern?
Welche Vor- und Nachteile brächte das mit sich? Für welche Arbeit wäre es sinvoll, wenn sie fluider und hybrider werden würde? Was heißt das genau, fluide oder hybrid?
Bei unvoreingenommer Betrachtung der Realität würde man feststellen, dass wir eine sehr heterogene Arbeitswirklichkeit haben. Es gibt beispielsweise viele Tätigkeiten, die erfordern eine hohe Flexibilität, aber diese Flexibilität ist eingegrenzt durch eine engmaschige digitale Steuerung und Kontrolle. 
Ein schönes, schon traditionsreiches Beispiel für derartige Flexibilität ist die gleitende Arbeitszeit. Sie gibt Unternehmen und Beschäftigten Flexibilität, aber gleichzeitg wird die Arbeitszeit minutiös erfasst.
Diese Gleichzeitigkeit von Flexibilität und Disziplinierung wird durch die Digitalisierung enorm vorangetrieben.
Die Arbeitswelt ist mittlerweile zu komplex und vielfältig, als dass man ihre Zukunft in fünf knackige Thesen stecken könnte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen