Sonntag, 14. Juni 2020

Home Office

Segen oder Fluch?


"Die Heimarbeit ist diejenige Produktionsform, die infolge ihrer Rückständigkeit die schlimmste Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft ermöglicht. Die Heimarbeit isoliert die Arbeiter und Arbeiterinnen, erschwert deren Organisation und macht sie daher unfähig, sich aus eigener Kraft gegen die Ausbeutung zu wehren."

Mit diesem Zitat aus einer Resolution, die auf dem 6. Gewerkschaftskongress 1908 beschlossen wurde, erinnert die ZEIT die sozialdemokratischen Minister Heil und Scholz an die einstige Ablehnung der Heimarbeit durch die Sozialdemokraten. Minister Heil will ein Gesetz vorlegen, das ein Recht auf Homeoffice gewährleisten soll.

Ein gesetzlich garantiertes Recht auf Homeoffice ist unnötig

Weder aus den Gründen, die dem Arbeitsminister am Herzen liegen, noch aus denen die das obige Zitat suggeriert. Was Heil regeln will, ist das Homeoffice, in dem die sozialversicherungsrechtlich beschäftigte Arbeitnehmerin möglicherweise arbeiten will, um Familiensituation und Arbeit vielleicht besser zu vereinbaren. Deren Situation ist jedoch in keiner Weise vergleichbar mit der der Heimarbeiter um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Ein Gesetz, das ein Recht auf Homeoffice verbrieft, müsste zwangsläufigerweise Ausnahmeregelungen und Sonderbestimmungen enthalten, wann und warum dieses Recht wieder eingeschränkt werden kann. Man kann sich leicht vorstellen, was dabei herauskommen kann. Auch die Tarifvertragsparteien sollten vorläufig die Finger von dem Thema lassen. Warum kann der Gesetzgeber die Entwicklung nicht einfach einmal mit aller Aufmerksamkeit beobachten? Eine Sondersituaton, wie die aktuelle unter Corona, taugt nicht, um mit der heißen Nadel daraus irgendwelche gesetzlichen Regelungen abzuleiten. Wenn es zu missbräuchlichen Entwicklungen kommt, kann man immer noch einschreiten.

Abgrenzen von der "klassischen" Form des Homeoffice sollte man dagegen die Arbeit der sogenannten Click-Worker. Die holen sich ihre Aufträge aus dem Netz und bekommen das entlohnt, was sie abgeliefert haben, ohne irgendwelche sozialversicherungsrechtliche oder sonstige vertragliche Bindung. Hier haben wir es mit Selbstständigen, oder wie es so schön heißt, freien Mitarbeitern zu tun. Für diese Gruppe kann das obige Zitat durchaus wieder an Aktualität gewinnen. Es wäre für den Arbeitsminister eher angebracht, diesen Teil des Arbeitsmarktes mit all seinen Ausprägungen genauer unter die Lupe zu nehmen.

Doch auch die aktuell flächendeckend praktizierte Form der Homeoffice-Arbeit sollte man im Auge behalten. Einerseits ermöglicht sie den Beschäftigten Arbeits- und Privatleben besser unter einen Hut zu bringen, andererseits kann genau daraus auch ein Problem werden. Die zunehmende Entgrenzung zwischen beiden Bereichen darf nicht dazu führen, dass man nachher nicht mehr weiß, wann tatsächlich einmal Feierabend ist. Die Technik ermöglicht ständige Erreichbarkeit und damit auch Verfügbarkeit. Hinzu kommt oft eine knappe Personalbemessung, die ein permanent hohes Arbeitsvolumen zur Folge hat und damit auch das Gefühl, nicht fertig zu werden. Wenn man alle Arbeitsmittel zu Hause und die entsprechenden technischen Möglichkeiten hat, wird Druck aufgebaut, der einen auch später am Abend noch am PC sitzen läßt. Das vielbemühte Bild, nachmittags Zeit für die Kinder zu haben und abends die Mails zu checken, ist dann nicht mehr so verlockend, wenn der Druck so groß ist, dass man keine andere Wahl hat.



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