Sonntag, 17. November 2019

Mythos Wissensarbeiter

Auch Peter Drucker kann irren

Medial erzeugte Figuren behaupten sich im öffentlichen Bewußtsein hartnäckiger wie manche reale. Dies beruht unter anderem auch darauf, dass sie nicht hinterfragt werden. Es wird noch nicht einmal nachgefragt, was denn damit eigentlich genau gemeint sei.
Eine solche Gestalt ist der Wissensarbeiter, respektive die Wissensarbeiterin. Sie spielen angeblich eine Hauptrolle auf der Bühne Arbeit 4.0.. Die Wissensarbeiter sind die Aufsteiger in der neuen Arbeitswelt. brand eins versteigt sich sogar zu der Prognose "Die Macht der Arbeitgeber nimmt ab, während die Wissensarbeiter, selbstbestimmt und qualifiziert, an Einfluß gewinnnen."

Doch was zeichnet einen Wissensarbeiter eigentlich aus? Der Begriff wurde von Peter Drucker bereits 1959 eingeführt, aber so richtig Konjunktur bekommt er erst jetzt. Nach Wikipedia ist damit jemand gemeint, der "seinen Lebensunterhalt damit verdient, Wissen zu entwickeln oder zu nutzen..."
Ähnlich unbestimmt lesen sich auch andere Definitionen. Bisweilen findet man noch Hinweise auf den Gegensatz zu körperlicher/manueller Arbeit. Aber auch das führt in die Irre. Wo ließe sich dann beispeilsweise ein hochqualifizierter Zerspanungsmechaniker einordnen, der ein Drei-Achsen-Bohrwerk bedient, der also manuelle Arbeit mit Spezialwissen vereinigen muss? Man kann davon ausgehen, dass derartige Jobs im Zuge der Digitalisierung noch zunehmen werden. Eine Definition des IAO Fraunhofer Instituts setzt eine wissenschaftliche, akademische Ausbildung voraus. Damit ist wenigstens schon mal eine Abgrenzung formuliert, die unseren Zerspaner nicht unter die Gruppe der Privilegierten rechnen würde.
Wie kann einer Gruppe von Beschäftigten, von der noch nicht einmal hinreichend klar ist, was sie eigentlich ausmacht, eine solche Bedeutung zugeschrieben werden? Mit ein Grund dafür ist die Ungewißheit über die Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt. Sie verleitet dazu wahrscheinliche Trends aufzublasen und zu überschätzen. Auch Drucker selbst ist an diesem Hype nicht schuldlos. "Wissensarbeiter dagegen besitzen die Produktionsmittel...Das Wissen zwischen ihren Ohren ist ein gewaltiges und vollkommen portables Kapitalvermögen. Weil Wissensarbeiter ihre Produktionsmittel besitzen, sind sie mobil." So zitiert brand eins den Meister. Offensichtlich ist den Redakteuren die Bedeutung des Begriffs "Produktionsmittel" nicht ganz klar. Was ist denn mit den geheimnisvollen Algorithmen von Google, Facebook und Co? Befinden die sich etwa noch in den Köpfen der Wissensarbeiter, die sie einmal entwickelt haben? Klar sind diese Formeln die Produktionsmittel der Zukunft, aber sie befinden sich nach wie vor im Besitz der Unternehmen für die sie entwickelt wurden. Die Wissensarbeiter verkaufen ihre Wissen an ihre "Arbeitgeber" - Karl Marx läßt grüßen. Natürlich sind diese Menschen für Unternehmen begehrt und können Bedingungen
stellen, aber sie werden nicht die grundsätzliche Macht von Arbeitgebern in Frage stellen. Im Gegenteil, es gibt viele WissensarbeiterInnen, die in dürftigen bis prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten müssen. Man blicke nur in den Hochschulbereich, in Forschungseinrichtungen oder Medienbetriebe.
So taugt der "Wissensarbeiter" bestenfalls als Beispiel für die (auch ideologische) Vernebelung der Folgen der technologischen Entwicklung, nicht aber als analytische Kategorie.





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