Sonntag, 24. November 2019

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Gedanken zu einer unsterblichen Managementlehre

Vertrauen ist wahrscheinlich die am meisten gefordertste und herbeigeschrieben und -geredete Managementtugend. Kontrolle dagegen ist die böse Schwester, die nichts taugt und tunlichst gemieden werden sollte. Mitarbeiter wollen, dass ihnen vertraut wird und sie nicht kontrolliert werden. Wer sich als Chef allzu sehr auf Kontrolle verläßt, gilt zumindest als gestrig, wenn nicht autoritär. Vertrauen ist der rote Faden, der sich durch alle "modernen" Managementlehren durchzieht und sogar in den aktuellen Diskussionen um Führung im Zeitalter der Digitalisierung noch an Bedeutung zu gewninnen scheint.

Doch die Bedeutung in der Theorie schlägt nicht in die Praxis durch. Der obige Spruch wird von Führungskräften immer noch gerne hinter vorgehaltener Hand oder auch ganz offen zitiert. Was sich bei diesem Typ von Chef auch in seinem Verhalten niederschlägt. Aber auch die Führungskräfte, die sich redlich darum bemühen, nicht autoritär zu sein und zumindest möglichst wenig zu kontrollieren, haben keine Scheu, sich einer breiten Palette von Kontrollinstrumenten zu bedienen.
Beurteilungs- und Zielvereinbarungssysteme sind, auch wenn sie neuerdings unter dem Etikett Performance-Management daherkommen, nicht anderes wie Kontrollinstrumente. Was ist es anderes als Kontrolle, wenn am Ende eines Zeitraums der Mitarbeiter gefragt wird, ob er bestimmte Zielwerte erreicht hat? Und wenn der Vorgesetzte dem Mitarbeiter Feed-Back in Form einer Beurteilung geben will oder muss, dann muss er sich vorher ein Bild davon machen, wie der Mitarbeiter gearbeitet hat, eine typische Kontrolltätigkeit also. Allerdings wird er von dem Gefühl, Kontrolleur zu sein, entlastet, da er dem Kontrollierten ein Bonbon in Form einer Prämie oder "Leistungszulage" in Aussicht stellen kann. Eine Möglichkeit, die die Führungskräfte allzu gerne nutzen und dabei die kritischen Töne vergessen.
Doch das sind noch "vertrauensvolle" Zustände gegenüber dem, was die digitale Technik ermöglicht. Große Mengen von Daten erfassen und in kürzester Zeit auswerten zu können, fordert geradezu heraus, möglichst viel zu quantifizieren und messbar zu machen. Und was gemessen werden kann, kann auch optimiert werden. Wo es dann nur noch um den "Abgleich von Ist- und Sollwerten" geht, wie Kontrolle oft schön umschrieben wird, ist der Weg des Vertrauens schon verlassen.
Es hat allerdings den Anschein, dass die meisten Betroffenen sich damit abfinden können. Viele unterwerfen sich sogar noch außerhalb der Arbeit dem Self Tracking und versuchen so noch andere Lebensbereiche kontinuierlich zu optimieren. Daran sieht man wie weit die Anforderungen der Arbeitsgesellschaft verinnerlicht sind. Die digitalen Kommunikationsmittel, die ständige Erreichbarkeit sicher stellen, tun ein übriges. Die Beschäftigten tun scheinbar von selbst, was sie sollen. Das Ziel scheint erreicht und die sich verflüchtigende (sichtbare) Kontrolle kann als zunehmendes Vertrauen verkauft werden.



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