Dienstag, 16. April 2019

Augmented Humanity

Der von Google-Chef Eric Schmidt im Jahr 2010 geprägte Begriff "Augmented Humanity" bezieht sich auf den Einsatz von Technologie, um den menschlichen Körper zu verbessern und entweder medizinische Vorteile zu erzielen oder die menschliche Leistungsfähigkeit zu steigern. Dabei kann es sich beispielsweise um Anwendungen am Körper handeln, wie intelligente Objektive, Uhren oder sogenannte Exoskelette, bis hin zu implantierten Anwendungen wie digitale Tätowierungen oder intelligente Pillen. 

Der SAP-Finanzchef Luka Mucic dehnt in einem kürzlich in der ZEIT erschienen Interview den Begriff auf "Prozesse, Systeme und Werkzeuge" aus, die die Mitarbeiter an die Hand bekommen, um "das, was (ihnen) an der Arbeit Spaß machen kann, noch bestärken zu können." Wie üblich, geht es auch bei ihm um die Entlastung "bei klassischen Büroaufgaben."
Damit wird die im Zusammenhang mit technischem Fortschritt immer wieder vorgetragene Argumentation bedient, dass es darum gehen soll, dem arbeitenden Menschen zu helfen, ihm die Arbeit zu erleichtern. Was schon bei der Erfindung des Baggers oder des Gabelstaplers nur die halbe Wahrheit war, ist es bei digital basierten Prozessen und Systemen erst recht. Mit Hilfe eines Baggers kann ein Mensch mehr Erde schneller bewegen, als ein Dutzend Kollegen mit der Schaufel. Und der Baggerfahrer bekommt dann vorgegeben, dass er das in einer entsprechend kürzeren Zeit zu tun hat.
Auch Herr Mucic macht in seinen weiteren Aussagen schnell deutlich, dass es ihm nicht nur um Humanität geht. "So kann er seine Wertschöpfung entfalten, also Kreativität, Empathie und Zeit für soziale Abstimmungen im Unternehmen.....Man muss die Chancen der Digitalisierung darin sehen, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, agiler und kreativer zu werden durch die Freiräume, die man den Mitarbeitern dadurch geben kann. Auf Basis dieser Produktivitätsgewinne läßt sich mehr investieren....." Es geht um Wertschöpfung und um Produktivitätsgewinne. Die Produktivität, die durch technichen Fortschritt gewonnen wird, wird nicht an die Mitarbeiter weitergegeben, damit diese mehr Freiräume haben. Die potentiell möglichen Freiräume werden umgehend wieder mit neuen Aufgaben gefüllt. 
Die Frage des Interviewers nach dem umfangreichen Abbauprogramm von SAP für ältere Mitarbeiter umgeht Herr Mucic wortreich. Er spricht etwas nebulös von "Menschen, die nicht mithalten können". Man kann nur hoffen, dass er damit nicht pauschal Ältere gemeint hat. Immerhin führt SAP schon nach wenigen Jahren das zweite Programm dieser Art durch. 
Spätestens hier wird deutlich, dass es mit der "erweiterten Menschlichkeit" nicht weit her ist.
Es ist legitim, dass Unternehmen ihre Produktivität verbessern und für die Qualität ihres Ergebnisses Sorge tragen. Dann sollten sie das Kind aber auch beim Namen nennen und nicht versuchen, ihr Handeln mit einer fadenscheinigen Ideologie zu verbrämen.

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