Mittwoch, 13. Juni 2018

Nehmen Sie sich mal ein Beispiel !

Patchworkmutter, Managerin, immer online, oft sieben Termine am Tag.

Es gibt sie schon die schöne, neue Arbeitswelt. Kurz vor sechs steht Mutti auf, macht sich fertig, dann werden die Schulbrote geschmiert, die Schulranzen gepackt. mit den Kindern besprochen, was ansteht. Währenddessen werden parallel schon die Social-Media-Kanäle und Mails gecheckt und oft auch noch mal die Wäsche gemacht.
So jedenfalls hat die Powerfrau im Interview einer Online-Plattform ihren "normalen Morgen" beschrieben.
Im Büro angekommen wird dann als Erstes mit dem Team "gequatscht", "auf zwischenmenschlicher Ebene". Ihren Kalender beschreibt sie "als immer voll", mit selten weniger als sieben Termine pro Tag, manche Tage sind "komplett durchgetaktet." Manchmal arbeitet sie allerdings auch nur 20 Stunden in der Woche.
Nebenbei, die Dame arbeitet in der Unternehmenskommunikation eines internationalen IT-Unternehmens. Man muss kein ausgeprägt kritischer Geist sein, wenn man bei einer solchen Hochglanzpräsentation skeptisch wird. Es verwundert auch nicht, wenn das Interview außer Rosa-rot keine differenzierteren oder gar dunkleren Töne enthält.
Ich möchte in keiner Weise die persönliche Leistung der Dame anzweifeln. Ich kenne persönlich auch den ein oder anderen Powermenschen, der scheinbar mühelos eine Vielfalt von privaten und beruflichen Anforderungen unter einen Hut bringt.
Aber woher kommt dann die steigende Zahl von Burn-Out-Erkrankungen? Woher die Klagen über fast ständige Erreichbarkeit? Sind das alles Weicheier, die ihr Leben nicht den Griff kriegen?
Leider gibt das Interview keine Auskunft darüber, wie die Protagonistin es schafft, dieses Pensum so scheinbar locker zu bewältigen. Insbesondere dann, wenn es mal nicht so rund läuft, wenn die Kinder vielleicht quängeln oder plötzlich krank sind. Gibt es nicht vielleicht doch mal Momente der Erschöpfung? Oder darf man die nicht zeigen? Was würden denn die potentiellen Bewerber denken, wenn die Mitarbeiter des Unternehmens in den Social-Media-Kanälen übellaunig oder gar gestresst daher kämen?
Nur leider - oder soll man sagen, Gott sei Dank - wird das Bild von der schicken neuen Arbeitswelt mittlerweile immer wieder durch Einblicke in die alltägliche Realität getrübt. Wäre die Kollegin vielleicht nicht auch froh, wenn sie nicht schon morgens während des Schulbrotschmierens die Mails checken müsste? Kann man daran wirklich Freude haben? Oder ist das mittlerweile ein Statussymbol? Schaut her, ich bin wichtig und ich schaffe das!
Der Leistungsdruck wird mit dem Zuckerguß der vermeintlichen Freiheit: "Du kannst arbeiten wann und wo Du willst, Du mußt nur Dein Pensum schaffen" verziert. Nur ist dieses Pensum so ausgelegt, dass der Arbeitstag schon morgens zu Hause vor dem Frühstück anfängt.
Um so bedauerlicher ist es dann, dass durch derartige Veröffentlichungen der Leistngsdruck indirekt noch verstärkt wird. "Wenn die das kann, muss ich das auch schaffen..."
Bedauerlich ist auch, dass dieses Interview in der Online-Ausgabe einer Wochenzeitung erschienen ist, die sich ansonsten ihrer kritisch-differenzierten Berichterstattung rühmt.

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