Freitag, 29. Dezember 2017

Das Narrativ von der flexiblen Arbeit

Es heute modern von Narrativen zu sprechen. Das Narrativ von der flexiblen Arbeit lautet so:

Mitarbeiter beginnen morgens ihren Arbeitstag, gehen mittags noch etwas essen, bleiben bis nachmittags noch im Büro, kommen dann rechtzeitig zur KITA, um die Kids abzuholen, mit denen sie sich dann den Rest des Nachmittags beschäftigen können. Wenn die dann abends versorgt und im Bett sind, geht es nochml an den Computer, um die für den nächsten Tag terminierte Präsentation fertig zu machen. Idealerweise kommt auch der Partner oder die Partnerin rechtzeitig am Nachmittag nach Hause, so dass zwischendurch noch mal die Mails gecheckt werden können.

Das ist das Grundmuster, das beliebig ergänzt oder variiert werden kann. Von den Apologeten dieser Form der Flexibiliserung wird dann gerne betont, dass sie den Mitarbeitern hilft, Privat- und Arbeitsleben besser in Einklang zu bringen und den Unternehmen gleichzeitig mehr Flexibilität ermöglicht. Klar, dann wird die Präsentation abends um 22 Uhr noch fertig gemacht. Wenn die Kleinen im Bett sind, hat man ja die nötige Ruhe. Wenn dagegen der starre Acht-Stunden-Tag um 17 Uhr vorbei ist, wird der Griffel weggelegt. Die Arbeit (und der Arbeiter) ruht bis zum nächsten Tag. Wenn sie meine früheren Posts lesen, wissen sie, dass ich ein überzeugter Verfechter flexibler Arbeitszeiten bin. Nur, Flexibilität kann nicht heißen, grenzenlos zu arbeiten. Privat- und Arbeitsleben zu vereinbaren kann nicht bedeuten, das Privatleben möglichst geschickt in die Arbeit einzubauen. Ist Freizeit dann nur noch das, was nach Bearbeitung der letzten Mail übrig bleibt oder ist es ein selbstbestimmter Zeitraum, der in ausreichendem Maße zur Verfügung steht?
Zeiterfassungssysteme sind Führungskrücken und wo möglich sollte man mit Vertrauensarbeitszeit arbeiten. Aber wenn Arbeitgeber versuchen Arbeitszeit so weit wie möglich zu entgrenzen und damit die Kapazität ihrer Humanressourcen zu erhöhen, sollten sie sich nicht wundern, wenn Gesetzgeber und Gewerkschaften versuchen, diese Grenzen wieder aufzurichten. Menschliche Schaffenskraft ist begrenzt. Körper und Geist müssen zur Ruhe kommen können. Das geht nicht, wenn Mutti oder Papa beim abendlichen Schlafliedchen schon in Gedanken bei der Präsentation sind, die sie nachher noch fertig machen müssen.
Das kann auch das schönste Narrativ nicht verniedlichen.

Mittwoch, 27. Dezember 2017

Wird eigentlich noch geführt?

"Vom allwissenden Anführer zum Moderator,
vom Aufgabenverteiler zum Sinnstifter,
vom Kommandeur zum Coach...."
so zitiert ein Handelsblattartikel die Zielrichtung der aktuellen Personalentwicklung der Fraport AG.
Der Firmenname könnte beliebig ausgetauscht werden. Diese oder ähnliche Sprüche kommen jedem Personaler automatisch über die Lippen, selbst wenn man ihn nachts aus dem Schlaf holt.
Sie hören sich auch gut an und lullen viele, die sie hören, offenbar so ein, dass die nicht merken, dass sie der Realität kaum standhalten.
Wenn der Vorgesetzte nur noch Moderator, Sinnstifter und Coach sein soll, wann und wie führt er dann?
Dass heute niemand mehr allwissender Anführer sein kann, ist banal. Das war aber auch schon zu Zeiten der mechanischen Schreibmaschine so. Aber ist das Gegenteil davon Moderator?
Gewiss sollte der Vorgesetzte auch moderieren können. Das halte ich für eine Grundanforderung.
Aber auch der moderierende Vorgesetzte muss über die Inhalte Bescheid wissen, die er moderiert.
Der Vorgesetzte soll und kann kein Sinnstifter sein. Der Sinn der Mitarbeit in einer Organisation ergibt sich aus deren Ziel und der Motivation der Mitarbeiter. Für die hat die Arbeit ja bereits einen Sinn und selbst wenn es nur der des Broterwerbs wäre. Wahrscheinlich muss der Chef gelegentlich den Sinn einer Aufgabe erklären, aber das ist etwas anderes als Sinn zu stiften. Noch wahrscheinlicher ist aber, dass er auch im Zeitalter vorgegebener Workflows noch oft genug Aufgaben verteilen muss.
Verwunderlich ist besonders der Wandel vom Kommandeur zum Coach. Ich will der Fraport AG nicht unterstellen, dass ihre Führungskräfte bisher als Kommandeure agiert haben. Das Unternehmen wird aber sicher nicht die Absicht haben, die Führungsverantwortung soweit zu reduzieren, dass sie nur noch als Coaching wahrgenommen wird. Auch hier gilt, dass coachen ein Teil der Führungsarbeit sein kann und manchmal auch sein muss. Aber führen geht über coachen hinaus.
Doch abgesehen von diesen an der Bedeutung der Begriffe orientierten Hinweisen muss man fragen, wie tragfähig die Rollen als Moderator, Sinnstifter oder Coach sind, wenn es um die Einhaltung der Kosten geht. Bezogen auf ein anderes Unternehmensbeispiel: wie können die Siemens-Führungskräfte, die den Personalabbau umsetzen müssen, bei den Betroffenen Sinn stiften, moderieren und coachen? Nach meinem Eindruck wird von Führungskräften mehr denn je verlangt das Leistungsvermögen ihrer Mitarbeiter kontinuierlich zu steigern. Am Ende des Tages, wie es immer so schön heißt, wird nur noch nach Zahlen gefragt. Und wenn die nicht stimmen, wird der Spielraum für Moderation, Coaching oder gar Sinnstiftung erfahrungsgemäß deutlich abnehmen. Insofern ist die Standfestigkeit solcher Sprüche, wie die der eingangs zitierten, in der Realität relativ gering. Was mit ein Grund  dafür ist, dass sie von vielen Führungskräften und deren Mitarbeitern nur noch milde belächelt werden.
Die spüren tagtäglich, dass es im Unternehmen primär nicht darum geht, die Beschäftigten glücklich zu machen, sondern darum handfeste Unternehmensziele zu erfüllen. Wenn die Diskrepanz zwischen veröffentlichter Führungsphilosophie und Leistungsdruck im Alltag zu groß wird, dann nimmt im selben Verhältnis die Motivation ab. Insofern nützt die ehrliche Ansage, worum es geht, mehr.




Donnerstag, 21. Dezember 2017

Der Flächentarif ist in Gefahr

68% der Unternehmen in Westdeutschland und 79% der im Osten sind nicht tarifgebunden

Da es sich dabei um kleinere und mittlere Betriebe handelt und eher größere Unternehmen noch tarifgebunden sind, sieht es bei den Beschäftigten etwas besser aus: im Westen arbeiten noch 59% nach Tarif, im Osten 47% (Zahlen nach Handelsblatt).
Und der Trend aus dem Tarif auszusteigen oder erst gar nicht beizutreten, hält an. Zu diesem Trend gehören auch die Tricks den gesetzlichen Mindestlohn zu unterlaufen. Es ist der Trend mit immer restriktiveren Arbeitsbedingungen Kosten zu senken und den Profit zu erhöhen.
Viele von denen, die immer wieder den sogenannten "freien Markt" proklamieren, tun selbst ihr Bestes, um kein gleichberechtigtes Aushandeln von Bedingungen zuzulassen. Gerade auf dem immer noch sogenannnten "Arbeits-Markt" gibt es kaum Situationen, in denen gleichberechtigte Marktteilnehmer aufeinandertreffen. Meistens können die Arbeitgeber die Bedingungen diktieren.
Bisher ist es nur Tarifverträgen gelungen, Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichberechtigt an den Tisch zu bringen und "auf Augenhöhe" über Arbeitsbedingungen zu verhandeln. Das hat sich bei uns auch jahrzehntelang bewährt.
Da der Markt selbst nicht für einen fairen Interessenausgleich sorgt, muss ein Weg zur Regulierung gefunden werden. Anstatt diese dem Gesetzgeber zu überlassen, erscheint es mir besser, die Marktteilnehmer zu verpflichten, selbst dafür zu sorgen.

Sonntag, 17. Dezember 2017

What gets measured gets managed

Was hat der ehrenwerte Peter Drucker, dem dieser Satz zugeschrieben wird, damit losgetreten? Das mag man sich fragen, wenn man die grassierende Key-Figure-Kultur sieht. Fast schon könnte man denken, dass etwas nicht mehr als Leistung zählt, wenn es nicht gemessen werden kann.
Gewiss kann man eine Organisation erfolgreicher führen, wenn man deren Leistungserbringung messen und in Kennzahlen ausdrücken kann. Dafür reicht aber meist eine überschaubere Anzahl von Messgrößen.
Das kann man allerdings nicht ohne weiteres auf menschliche Leistung übertragen. Wesentliche Bestandteile davon lassen sich nicht in Zahlen ausdrücken.
Man muss sich nur die weitgehend  - in diesem Sinn - unrealistischen Ergebnisse von Beurteilungen und Zielvereinbarungen ansehen, die in Leistungszulagen oder Zielerreichungsgraden münden.
Auch aus dem Niedergang der Akkordentlohnung haben die Messbarkeits-Apostel nichts gelernt.
Im Gegenteil, die Möglichkeiten der Digitalisierung haben den Wahn, alles messen zu wollen, noch befeuert. Kein Wunder lassen sich mit ihrer Hilfe doch Daten in größerem Umfang, schneller und zu jeder Zeit gewinnen und verarbeiten.
Bezogen auf die menschliche Arbeit können Zahlen jedoch immer nur Hilfsgrößen sein. Was nicht unbedingt dagegen spricht die Leistungen von Beschäftigten selektiv und differenziert mit Messgrößen transparenter zu machen. Es gibt beispielsweise viele Tätigkeiten, bei denen es Sinn macht, Fehlerquoten zu ermitteln. Auf welche Irrwege es aber führen kann, Leistung messen zu wollen, zeigen die Beispiele von Zielvereinbarungen für Hochschullehrer oder Klinikärzte.
Wie wollte man Führung messen? Auch ein noch so kleinteiliger Mitarbeiterzufriedenheitsindex kann nur Hinweise geben - die man meist auf anderen, einfachereren Wegen auch bekommen könnte.
Beispielsweise durch gut vorbereitete und strukturierte Feed-Back-Gespräche.
Eine Zahl reduziert ein beobachtetes Phänomen auf einen bestimmten Teilaspekt. Je komplexer dieses Phänomen ist - und wer wollte bestreiten, dass Personalführung etwas Komplexes ist? - desto weniger läßt es sich mit Zahlen "beschreiben". Das ist mit ein Grund dafür, dass manche der sogenannten Performancemanagement-Systeme eine Vielzahl von Messgrößen nutzen. Das Gegenteil ist allerdings ebenso schlimm: Die großen Vereinfacher drücken alles mittels einer Ampel aus. Damit wird die Leistung von Mitarbeitern nur noch auf Rot, Gelb oder Grün reduziert.

Mittwoch, 13. Dezember 2017

Mindestlohn wird vielen verweigert

Vertragsverhandlung "auf Augenhöhe" für viele Beschäftigte Utopie

Den Beschäftigten, die den Mindestlohn erhalten und so möglicherweise gegenüber einer früheren Situation davon profitieren, stehen genauso viele gegenüber, die ebenfalls ein Anrecht darauf hätten, deren Arbeitgeber aber durch allerlei Tricksereien versuchen, das Gesetz zu unterlaufen. Dies ergab eine Studie des Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in der betroffene Arbeitnehmer befragt worden waren.
Bevor also die Arbeitgeber wieder einmal die gesetzgeberische Regelungswut anprangern, sollten sich klar gegen die schwarzen Schafe in ihren Reihen positionieren. Je restriktiver und ausschließlich profitmaximierend die Arbeitsbedingungen sind, desto mehr sieht sich der Gesetzgeber in der Veranlaßung zu handeln.
Wenn es einen "Arbeitsmarkt" mit gleichberechtigten Teilnehmern gäbe, die "auf Augenhöhe" faire Arbeitsbedingungen aushandeln könnten, dann bräuchte man keine Regelungen.
Aber den wird es auch in der Arbeitswelt 4.0 nicht geben. Es steht sogar zu befürchten, dass es den in Zukunft noch weniger geben wird wie heute.
Darum wieder mein Plädoyer: gesetzliche Verpflichtung zu Tarifverträgen anstatt Mindestlohn.

Sonntag, 3. Dezember 2017

Vertrauensarbeitszeit

Bei moderner Arbeitszeitgestaltung unverzichtbar.

Die aktuelle Diskussion um die angeblich notwendige Flexibilisierung des Acht-Stunden-Tages - der in der Realität noch oben und nach unten eh längst ausgehöhlt ist - läßt eine attraktive Form der Arbeitszeitgestaltung nahezu außer acht: die Vertrauensarbeitszeit. Dabei kann sie für beide Seiten, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, gleichermaßen attraktiv sein.
(Nebenbei: Ich habe selbst fast 25 Jahre in Vertrauensarbeitszeit gearbeitet und auch ein Arbeitszeitmodell auf der Basis von Zeitkonten mitkonzipiert und eingeführt. Ich rede also hier nicht nur von der Kanzel.)
Einige Thesen zur Vertrauensarbeitszeit.
Sie ist schwierig. Wie der Name schon sagt, setzt sie Vertrauen voraus, von beiden Seiten. Der