HR muss Kernkompetenz stärken
Anstatt darüber zu jammern, nicht genug an unternehmensstrategischen Fragen beteiligt zu sein, sollten die Personaler lieber auf die Pflege ihrer Kernkompetenzen achten. Auf dem Gebiet der Personalauswahl, der Königsdisziplin im Personalwesen, scheint einiges im Argen zu sein und nicht immer professionell gearbeitet zu werden. Diesen Eindruck jedenfalls kann man gewinnen, wenn man ein Interview mit Prof. Kanning in der ZEIT (Nr. 30, 20.7.) liest. Prof. Kanning ist Wirtschaftspsychologe und forscht auf dem Gebiet der Personalauswahl.In dem Interview erwähnt er eine Befragung von 200 Unternehmen zu ihren Einstellungsgesprächen, die ergeben hat, dass noch nicht einmal 5 % "hochstrukturierte Interviews" durchführen. Er hat leider nicht angegeben, wann bei ihm ein Interview hochstrukturiert ist. Man muss auch kritisch zurückfragen, ob das immer sein muss. Ein zu stark strukturiertes Interview wird auch schnell zu einem starren Korsett, das keinen Raum mehr für individuelle Gesprächssituationen läßt. Ich habe auch immer wieder, vor allem jüngere, KollegInnen erlebt, die sich einen schönen Interviewfragebogen gebaut oder irgendwo abkopiert hatten und diesen dann, wie der Interviewer eines Meinungsforschungsinstituts, bei jedem Bewerber stereotyp abgearbeitet haben. Zuviel Struktur ist auch nicht gut. Aber Struktur sollte ein Vorstellungsgespräch schon haben. Der Befund läßt allerdings befürchten, dass es damit insgesamt nicht weit her ist. Gerade erfahrene Personaler fallen der Versuchung zum Opfer, Interviews aus dem Bauch zu führen. Nicht genügend Vorbereitung und ein Gespräch "aus dem Bauch". Man hat ja genügend Erfahrung und merkt schon, ob der Bewerber etwas taugt. Es passiert auch immer wieder, dass bei gemeinsamer Gesprächsführung von Personal- und Fachabteilung der Personaler sich die Gesprächsführung von dem Kollegen der anderen Funktion die Gesprächsführung aus der Hand nehmen läßt. Dann kann es passieren, dass das Interview zu einem Fachgespräch wird, oder noch schlimmer, in monologisierende Selbstdarstellung abdriftet.
Noch kritischer ist allerdings der zweite Befund, der in dem Artikel zitiert wird. In einer Befragung von 240 Unternehmen gab fast jedes zweite von diesen an, "keine stellenspezifischen Kriterien bei der Vorauswahl" zu haben. Man fragt sich, wie die dann die passenden Mitarbeiter finden.
Der Anteil von Blendern und Dampfplauderern dürfte in diesen Unternehmen etwas höher sein.
Alles in allem aber Zahlen, die HR in einem guten Licht erscheinen lassen. Gerade eine Funktion, die immer wieder ihre Professionalität unter Beweis stellen muss, darf sich bei einer ihrer wichtigsten Aufgaben keine Blöße geben. Gerade mit professionellem Recruitment - und das sind nicht nur Vorstellungsgespräche - kann sich HR profilieren. Im übrigen ein Feld von hoher strategischer Relevanz. Es ist vielleicht nötiger sich auf die Basics zu besinnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, als fehlende Anerkennung zu beklagen. Auch die Digitalisierung wird euch nicht davon befreien, ordentliche Vorstellungsgespräche zu führen.
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