Montag, 10. August 2015

Das HR-Dilemma

Die Personalabteilung ist keine Führungsersatzabteilung. Vom Selbstverständnis vieler Personaler und auch von der Erwartungshaltung anderer Unternehmensfunktionen her ist das Thema Führung und Kultur eines der Kernthemen von HR, wie es kürzlich der Chef einer großen deutschen Beratungsfirma formuliert hat. Das ist in jeder Hinsicht auch richtig. HR wirkt bei der Auswahl der Führungskräfte mit, ist für die Personalentwicklungsmassnahmen verantwortlich, die das Führungsverhalten im Unternehmen optimieren sollen, und ist die letzte Instanz, wenn arbeitsrechtlich relevante Disziplinarmassnahmen ergriffen werden müssen oder sollen, weil die zuständige Führungskraft mit ihrem Latein am Ende ist. Aus all dem leiten die Personaler dann auch so etwas wie die Deutungshoheit darüber ab, was denn im Unternehmen unter "guter Führung" zu verstehen sei. Die Unternehmensleitungen lassen sie dabei gewöhnlich nicht nur gewähren sondern erwarten das geradezu von ihnen. Doch anstatt gemeinsam mit dem Führungskräften zu reflektieren, was unter Führung zu verstehen sei, investieren sie einen beträchtlichen Teil ihrer Ressourcen in die Konzeption von Führungsersatzinstrumenten - Führungskrücken - mit denen sie die Führungskräfte von der Führungsarbeit entlasten wollen, wie zum Beispiel Performance-Management-Systeme. 

Darin wird das HR-Dilemma deutlich: Einerseits ist HR für das Thema "Führung" im Unternehmen zuständig in Form von inhaltlicher Erarbeitung dessen, was man im Unternehmen darunter verstehen soll und auch für den Transfer dieses Verständnisses in die Organisation. Andererseits sind aber die Führungskräfte oft nicht willens und in der Lage sich damit auseinanderszusetzen und in ihrer Führungspraxis anzuwenden. Sie rufen nach Hilfestellung und die Personaler eilen willfährig herbei und gewähren sie in jeglicher Form bis hin zu schwierigen Mitarbeitergesprächen, die sie dann übernehmen. Führung ist ein Kernthema von HR, aber HR darf selbst nicht Führungsaufgaben übernehmen, für die eigentlich die anderen Vorgesetzten verantwortlich sind. Die Personalabteilung sollte auch nicht immer wieder nach vermeintlich neuen Tools suchen, die die Führungskräfte bei der Führungsarbeit entlasten, damit sie sich "auf ihre anderen Aufgaben konzentrieren können." So wird sie zur Führungsersatzabteilung.
Es ist die Aufgabe von HR mit den Führungskräften ein Führungsverständnis zu entwickeln, kontinuierlich zu reflektieren und auch einzufordern. Dem immer wiederkehrenden Wunsch nach Entlastung von der Führungsarbeit durch die Kollegen müssen die Personaler entgegentreten. Sie müssen sehr wohl Hilfestellung leisten in Form von Personalentwicklung und Beratung. Jeder Führungskraft muss klar sein, was Führung bedeutet und dass sie wesentlicher Bestandteil ihres Jobs ist. Und schließlich ist HR mit professionellem Know How mit dafür verantwortlich, dass die richtigen Personen zu Führungskräften werden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen