Reizthema - aber eine notwendige Diskussion
Eine Diskussion über die Gestaltung von Arbeitszeit ist immer notwendig. So wie sich Arbeit kontinuierlich verändert, muss auch Arbeitszeit immer wieder neu gedacht werden. Insofern ist es gut, dass das Thema aktuell unter der Überschrift "Vier-Tage-Woche" wieder intensiver diskutiert wird. Nicht gut wäre allerdings, wenn es nur zwischen den Polen "Muss unbedingt sein" und "Kommt überhaupt nicht in Frage" geführt wird. Diese Polarisierung wird gefördert durch die Forderung "Bei vollem Lohnausgleich".
Um unvoreingenommen zu diskutieren ist es notwendig die Komplexität des Themas zu sehen.
Es taugt nicht für eine Auseinandersetzung mit plakativen Slogans.
Fangen wir mit dem vollen Lohnausgleich an. Bei der Studie in Großbritannien hat sich offensichtlich gezeigt, dass es Tätigkeiten gibt, die auch bei einer Verdichtung auf vier Tage dieselbe Produktivität erzeugen wie in fünf Arbeitstagen. Wenn dem so ist, kann man diesen Beschäftigten natürlich nicht das Entgelt kürzen. Wenn in vier Tagen genauso viel gearbeitet wird wie in fünf, muss auch das Entgelt dem entsprechen.
Allerdings würde ich hier eine Langzeitbetrachtung empfehlen. Zeigt sich dieser Effekt nach zwei Jahren auch noch? Da bin ich, ehrlich gesagt, skeptisch. Es gab schon in der Gründerzeit der Betriebssoziologie Experimente, die die Erhöhung der Produktivität durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bewirken sollte. Das funktionierte auch, aber die Produktivität stieg auch dann, als keine Verbsserungen mehr stattfanden. Es spielte offensichtlich eine Rolle, dass die Versuchgruppen das Gefühl hatten, wir stehen im Mittelpunkt. Sie wurden beobachtet, befragt und durften selbst Vorschläge einbringen.
Wie entwickelt sich also die Produktivität in den englischen Betrieben, wenn der Alltag wieder eingekehrt ist? Wenn die vorher eingesparten Meetings doch still und leise wieder zunehmen und länger werden? Wenn die positive Stimmung der Gestaltungsphase verflogen ist und auch die Fehlzeiten wieder zunehmen?
Denn man muss aufpassen, dass die Vier-Tage-Woche nicht zu einer Mogelpackung verkommt. Die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatsphäre verschwimmen immer mehr. Moderne Technologie stellt grenzenlose Erreichbarkeit zur Verfügung. Schon heute häufen sich die Klagen von Beschäftigten auch außerhalb der normalen Arbeitzeit vom Arbeitgeber beansprucht zu werden und es werden Regelungen notwendig, die das verhindern oder zumindest begrenzen. Bei einer Verkürzung der Arbeitzeit dürfte dieses Risiko zunehmen.
Schließlich gibt es Tätigkeiten, die in einer Vier-Tage-Woche nicht dieselbe Leistung erbringen können, wie in fünf Arbeitstagen. Ein Supermarktkassierer kann bei allem gutem Willen und persönlicher und technischer Arbeitsoptimierung in vier Tagen nicht dasselbe leisten wie in fünf, ebenso die Ärztin in der Notaufnahme oder der Lokomotivführer. Soll hier auch der volle Lohnausgleich gelten? Kann man ihn
dieser Gruppe verwehren, auch wenn sie auf Grund des Charakters ihrer Tätigkeiten dafür nichts kann?
In jedem Fall würden für diese Jobs bei einer Arbeitszeitverkürzung mehr Leute gebraucht, genau wie in anderen Arbeitsplätzen mit Schichtarbeit. Angesichts eines Arbeitskräftemangels könnte das problematisch sein. Wenn keine oder zu wenig Bewerber da sind, nützt auch die höhere Attraktivität des Arbeitsplatzes wenig.
Diese Gesichtspunkte müssen in eine Diskussion über Arbeitszeit einfließen. Diese muss von Arbeitgebern wie Gewerkschaften sachlich und unvoreingenommen geführt werden. Es gibt genügend Beispiele in der Praxis, die zeigen, dass es möglich ist, die Interessen beider Seiten angemessen zu berücksichtigen.
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