Donnerstag, 13. Juli 2023

Die Ausrede von den "strukturellen Problemen"

Und wie sie von der Frage nach der persönlichen Verantwortung ablenkt

In der Baden-Württembergischen Öffentlichkeit erregen zur Zeit Missstände in der Polizeiorganisation des Landes die Aufmerksamkeit. Ausgelöst durch einen Fall sexueller Nötigung eines ranghohen Beamten gegenüber einer Kommissarin wurden weitere Probleme sichtbar: Tricksereien bei Stellenvergaben, Vetternwirtschaft, mehr oder minder versteckte Drohungen gegenüber Kollegen und Kolleginnen, wenn diese versucht haben, sich gegen Benachteiligungen zu wehren.
Kaum kamen diese Vorwürfe vor einem Untersuchungssauschuss zur Sprache, wird unisonso von "strukturellem Machtmissbrauch" gesprochen, davon, dass "Dinge im Beförderungs- und Beurteilungssystem...dysfunktional" sind. Besonders das letzte Zitat von einem beteiligten Abgeordneten ist kennzeichnend: "Dinge" im "System" funktionieren nicht.
Dabei wird gerade bei dieser Liste von Fehlverhalten deutlich, dass nicht "Dinge" hier versagen, dass nicht "das System" oder "die Struktur" Fehler machen, dass es Menschen sind, die falsch handeln. Klar, im Fall der sexuellen Nötigung wird eindeutig eine Person beschuldigt. Doch auch die anderen Missstände sind menschlichem Handeln zuzuschreiben.
Auch im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche wird gerne von strukturellen Problemen gesprochen. Aber auch hier sind die Taten eindeutig von Personen begangen worden. Die Strukturen der Kirche haben dieses Fehlverhalten begünstigt und dafür gesorgt, dass es kaschiert wurde.
In Organisationen gibt es Hierarchien und Regeln, eine formale Struktur. Parallel dazu gibt es eine sogenannte informale Struktur. Beides zusammen sind dann die strukturellen Bedingungen, die natürlich das Handeln in der Organsiation beeinflussen und die dann auch so gerne zitiert werden.
Nur, eine Struktur, eine Organisation handelt nie selbst. Sie lebt erst durch die Menschen, die in ihr agieren. Alle Regeln, die es gibt, sind irgendwann aus menschlichen Entscheidungen hervorgegangen. Es hängt immer von den Mitgliedern der Organisation ab, was in ihr geschieht oder was nicht.
Die Rede vom "strukturellen Versagen" oder gar vom "System der Angst", wie jetzt bei der Baden-Württembergischen Polizei, hilft nicht weiter. Zuerst muss die Frage gestellt werden: Wer trägt die Verantwortung? und Wer hat die Verantwortung "die Verhältnisse" zu ändern? Wer vom strukturellen Versagen redet, der trägt zunächst einmal dazu bei, die Frage nach der Verantwortung zu umgehen. Gerne werden dann auch "neutrale" Kommissionen oder Untersuchungsausschüsse gebildet, die das Fehlverhalten untersuchen sollen. So wichtig diese im Einzelfall sein mögen, ihre Arbeit muss zur Identifizierung der Verantwortlichen führen. Wenn auch sie als Ergebnis nur strukturelle Defizite beschreiben, dann sollte man erst genauer hinsehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen