Mittwoch, 12. April 2023

Selbstbestimmung

Wie weit ist selbstbestimmte Arbeit möglich?

Das Wörtchen selbst hat Hochkonjunktur. Vor allem im Zusammenhang mit zukunftstauglichen Arbeitsbedingunen wird ein - so scheint es zuweilen - Höchstmaß an Selbstbestimmung und Selbstorganisation gefordert.

Es scheint, als ob mit der andererseits beklagten zunehmenden Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit - die eigentlich eine zunehmende Einschränkung der persönlichen Einflußnahme mit sich bringt - eine Sehnsucht wächst sich dieser Entwicklung zumindest mit der Forderung nach mehr Selbstbestimmung entgegen zu stemmen.

Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass eine Organisation flexibler - heute müsste man sagen agiler -  wird, wenn ihre Mitglieder eigenständig entscheiden und handeln können. Wenn sich die Beschäftigten an starre Reglen und Anweisungen von oben halten, oder sich bei allem, was von der Routine abweicht, abstimmen müssen, wird eine Organisation schwerfällig, wenn nicht sogar handlungsunfähig. Insofern sollte ein zentrales Organisationsprinzip sein, dass die Entscheidungen dort getroffen werden, wo die dafür notwendige Kompetenz vorhanden ist und das nach dem Grundsatz, so weit wie möglich unten.

Doch ist das schon Selbst-Bestimmung? Jede Aktivität in einer arbeitsteiligen Organisation, auch in einer überschaubaren, muss zumindest auf deren Ziel ausgerichtet sein. Die Unternehmensziele müssen erreicht werden, auch wenn die Beschäftigten sich Arbeitsort und -zeit selbst aussuchen können. In der Regel liegt der Zielerreichung auch ein mehr oder minder straffer Zeitplan und ein Budgetrahmen zugrunde. Allein das sind schon Bedingungen genug, um Selbstbestimmung spürbar einzuschränken.

Ein weiterer essentieller Grund, der selbstbestimmte Arbeit manchmal schonungslos begrenzt, ist die Notwendigkeit für den Lebensunterhalt zu sorgen. Altvater Marx läßt grüßen. Wie oft müssen aus diesem Grund Kompromisse geschlossen werden. Man kann nicht den Beruf ausüben, den man möchte oder gelernt hat. Man muss sich mit Partner oder Partnerin arrangieren, man kann aus familiären Gründen nicht umziehen. Aber man muss arbeiten, um Geld zu verdienen. Vor diesem Hintergrund spielt dann die Gelegenheit, im Home Office zu arbeiten, nur eine Nebenrolle. Selbst die digitle Nomadin, die mit ihrem Laptop in der Strandbar arbeitet, muss dafür sorgen, dass sie ihren Cocktail bezahlen kann. Ganz abgesehen davon, dass sie möglicherweise selbst für Krankheit und Alter vorsorgen muss, weil sie in keinem Sozialversicherungssystem ist. Das ist auch eine Form von Selbstbestimmung.

Es gibt also Gründe genug, etwas zurückhaltender über selbstbestimmte Arbeit zu reden. Und es gibt vor allem keine Gründe, mit roseroten Prophezeiungen eine Zukunft auszumalen, in der hochqualifizierte Wissensarbeiterinnen selbstbestimmt in sich selbst organisierenden Netzwerken hochproduktiv arbeiten. Man schaue sich beispielsweise auch die Regelwerke und Prozeduren mancher sogenannter agilen Methoden an. Sie propagieren zwar Selbstorganisation, zwängen die Beteiligten aber in strenge Formalismen ein.

Alle Selbstbestimmung erhält spätestens dann einen massiven Dämpfer, wenn ein Kostensenkungsprojekt ansteht oder gar ein Sozialplan droht, unter dessen Regelungen sie dann gänzlich begraben wird.

 

 


 


 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen