Sonntag, 30. August 2020

Die Diskussion um die Vier-Tage-Woche ist phantasielos

Tarifpolitische Taktik statt Konzept für die Zukunft

Gespür für zugkräftige Themen muss man der IG Metall schon zugestehen. Gerade jetzt die Diskussion um eine weitere Arbeitszeitverkürzung anzustoßen, garantiert Schlagzeilen. Und die Arbeitgeber tun ihr den Gefallen und packen reflexartig ihre bekannten Argumente zu diesem Thema aus. Dabei darf man die IGM nicht für naiv halten. Dass mit einer Arbeitszeitverkürzung die strukturellen Probleme beispielsweise in der Automobilindustrie nicht zu lösen sind, wissen die Gewerkschaftler nur zu gut. Aber mit der Vier-Tage-Woche liegt nun eine Forderung auf dem Tisch, die nur mit entsprechenden Gegenangeboten wieder wegzuverhandeln ist. 
Es liegt nun auch an den Arbeitgebern daraus etwas zu machen. Auch die IGM hat immer wieder bewiesen, dass sie zu vernünftigen Tarifabschlüssen bereit ist. Darum sollten die Arbeitgeber ihre bekannten Abwehrargumente in der Schublade lassen und mit phantasievollen Alternativvorschlägen in die Diskussion gehen. 
In einer Zeit, in der die Möglichkeiten des Home-Office intensiv getestet werden, erhält Arbeitszeit eine neue Bedeutung. Moderne Arbeitszeitkonzepte müssen die ganze Bandbreite von Beschäftigung abdecken, vom Home (oder sonstwo) -Office bis zur Fließband- oder Schichtarbeit. Die Forderung nach der Vier-Tage-Woche, mag sie auch noch so plakativ und taktisch geschickt sein, passt eher zur alten Industrie und greift viel zu kurz. 
Am Anfang muss heute die banal erscheinende Frage stehen, was ist eigentlich Arbeitszeit? Brauchen wir Regelungen, die eine möglicherweise künstliche Trennung zwischen Arbeits- und Privatzeit aufrechterhalten, die aber nicht praxistauglich sind? Manche Regelungen im Arbeitszeitgesetz, die schon lange gewohnheitsmässig missachtet werden, weil sie sich eben so auch nicht umsetzen lassen, sollten dabei eine Lehre sein. Was brauchen die Beschäftigten? Genau wie die Arbeitgeber wollen sie Flexibilität, aber aus unterschiedlichen Gründen und mit oft nicht deckungsgleichen Forderungen. Vor allem aber brauchen sie tatsächlich Freiraum für ihre private Zeit.
Jegliche Arbeitszeitregelung muss daher auch heute eine Schutzfunktion erfüllen. So sehr die Arbeitgeber darüber klagen und sich dagegen wehren mögen. Dann sollen sie zuerst die in ihren Reihen disziplinieren, die immer wieder versuchen, Arbeitszeitregelungen mit allen Mitteln auszutricksen.
Was früher der Kontrolle diente, kann heute zum Schutz der Arbeitnehmer eingesetzt werden. Die Stechuhr wurde abgeschafft und vielfach durch die bewährte Führungskrücke Zeitdruck ersetzt. Aber auch das wird noch mit dem Etikett selbstbestimmte Arbeitszeit verkauft.
Dennoch muss heute das Motiv jeglicher Arbeitszeitgestaltung - wo immer möglich - Vertrauensarbeitszeit lauten. Die ist die Basis für Flexibilität für beide, Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Außerdem verursacht sie wenig Aufwand. Allerdings muss auch der Gesetzgeber mitspielen und die nötigen Rahmenbedingungen schaffen. Die könnten beispielsweise aus einer Kombination von fakultativen, nicht zwangsweise und detailliert, vorgegebenen Aufzeichnungspflichten und einem Rahmen für Maximalarbeitzeiten, die von den Tarifvertragsparteien ausgestaltet werden können, bestehen.
Ich habe zwar selbst 23 Jahre in Vertrauensarbeitszeit gearbeit und weiss, dass das mit dem Vertrauen durchaus funktionieren kann, aber ohne den Bremsfallschirm einer Schutzregeleung werden wir für's erste nicht auskommen.
Wichtiger wie das Vertrauen ist aber zunächst einmal Phantasie um die vielen guten Ideen, die es schon gibt, weiterzuentwickeln.

Sonntag, 23. August 2020

Wir brauchen ein Gesamtkonzept

In den Diskussionen und besonders in den Klagen über die Situation der Schulen am Ferienende unter Coronabedingungen gehört die Forderung zum Repertoire. Wir brauchen ein Gesamtkonzept. Dieses Geamtkonzept soll alle offenen Fragen beantworten und die Sorgen des Lehrpersonals wie auch der Eltern zerstreuen.

Doch was soll das den sein, ein Gesamtkonzept? Gerade im Bildungsbereich wird die Unsinnigkeit dieser Forderung schnell deutlich. Wer das fordert, müsste konsequenterweise den Föderalismus abschaffen. Denn ein Geamtkonzept für die Schulen müsste ja bundesweit gelten. Damit ich nicht falsch verstanden werde, das wäre absolut notwendig. Aber politisch realistisch ist es aktuell nicht. Doch selbst wenn man innerhalb eines Bundeslandes bliebe, wird es schwierig mit dem Gesamtkonzept. Ein landesweites Konzept kann kaum die unterschiedlichen Situationen in Städten, Regionen und einzelnen Schulen unterschiedlicher Schularten berücksichtigen. Wollte man das versuchen, käme wahrscheinlich ein bürokratisches Meisterwerk raus, mit dem aber niemand etwas anfangen könnte.

Die Forderung nach dem Gesamtkonzept kommt uns aber nicht nur aus dem Bildungsbereich bekannt vor. Auch in Unternehmen wird gerne nach dem Gesamtkonzept gerufen, wenn jemand beispielsweise eine Idee vorträgt. Die kann man, ohne sie direkt abzulehnen, mit dem Vorschlag, sie solle in eine Gesamtkonzept einbezogen werden, unter Berücksichtigung von allerlei Fragen, wunderbar auf die lange Bank schieben, in der Hoffnung, dass sie dann vergessen wird. Oder der umgekehrte Fall, man hat ein Problem, das eigentlich zügig gelöste werden müsse, aber niemand hat eine griffige Idee. Da wird dann eine Projektgruppe installiert, die ein Konzept entwickeln soll.

Im übrigen läßt sich Gesamtkonzept auch gut durch Strategie ersetzen. Man will oder kann sich nicht mit der aktuellen Situation auseindersetzen und ruft nach dem großen Rahmen. Dabei wäre die kurzfristige, pragmatische Einzelfallentscheidung oft die bessere Lösung. Das sieht man auch in den Schulen. Warum kann eine einzelne Schule für sich nicht ein Konzept entwickeln? Warum wird in Organisationen so oft regelrecht gewartet, bis "von oben" eine Anweisung kommt? Kurz: warum funktioniert Empowerment so schwer, obwohl schon seit Jahrzehnten davon geredet wird?

Darum müssen die Verantwortlichen in allen Arten von Organisationen jetzt den Sprung ins wirklich kalte Wasser wagen und ihren Leuten zurufen: "Vergesst die Gesamtkonzepte! Ihr habt Kompetenz und Erfahrung genug, um vor Ort die passende Entscheidung zu treffen. Wenn ihr Hilfe braucht, könnt ihr euch auf die Organisation verlassen. Und wenn ein Fehler passiert, lassen wir euch nicht im Regen stehen und zeigen mit dem Finger auf euch. Aber auch ihr müsst Verantwortung für eure Entscheidungen übernehmen."

Schön wär's. Siehe oben. Was ist nicht schon alles über Empowerment geschrieben worden? Aber vielleicht gibt die aktuelle Situation ja doch einen kleinen Denkanstoß. Darum fangt an und vergesst die Gesamtkonzepte.

Freitag, 14. August 2020

Vom Sie zum Du...

 ....und schon wird alles besser.

Es ist schon bemerkenswert, wie leicht man durch den Gebrauch von Symbolen, Realität vortäuschen kann. Da drücken wir uns politisch korrekt aus und schon wird uns Offenheit für Diversität zugestanden. Und wenn wir fleißig Gendersternchen nutzen, kommen wir nicht in den Verdacht etwas gegen Gleichberechtigung zu haben.

Genauso ist es mit dem Du am Arbeitsplatz. So wie es zunehmend in ist, beeinflußt auch durch den Umgangston in sozialen Netzwerken, sich zu duzen, wird es gleich ideologisch überhöht. Da steht das "Sie" für eine hierarchische Denk-  und Arbeitsweise, das "Du" aber schafft Nähe und emotionale Verbundenheit, die auch im Arbeitsumfeld zu einem besseren Miteinander führt.

Um nicht missverstanden zu werden, ich trete jederzeit für unkompliziertes Zusammenarbeiten ein, ohne Krawatte und gerne per Du. Aber am Führungsverhalten, an Hierarchien, an den sogenannten Machtverhältnissen ändert das noch gar nichts. Wertschätzung kommt nicht automatisch, wenn man sich duzt. Man werfe nur einen Blick hinter die Kulissen der sogenannten agilen Methoden, die sich ja explizit Hierarchiefreiheit auf die Fahnen geschriebenen haben und Sie als Fremdwort behandeln. Mit Hilfe eines detaillierten Regelwerkes und Rollenbeschreibungen, die mühelos mit jeder klassischen Organisationsanweisung mithalten können, wird unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung des Teams ein gleichsam tayloristischer Leistungsdruck erzeugt.

Ich weiß nicht, wie weit Du bei der Lufthansa verbreitet ist, aber es wird die von Kündigungen Betroffenen sicher trösten, wenn die Kündigung per Du ausgesprochen wird. Ich wage auch zu bezweifeln, dass die Nähe und emotionale Verbundenheit in Du-Form die Qualität von Kritikgesprächen verbessert.

Hauptsache wir duzen uns und der CEO läuft zur Tarnung in Jeans und ohne Krawatte herum. Damit haben wir schon mal einen wichtigen Schritt in Richtung Wir-Gefühl gemacht. Bis zum nächsten Kostensenkungsprojekt glauben vielleicht auch einige daran.

Sonntag, 9. August 2020

HR Business Partner und strategische Organisationsberatung


Zwei Irrtümer "moderner" HR-Organisation

"Im Durchschnitt verwenden HR Business Partner nur 26 Prozent ihrer Arbeitszeit auf strategische Organisationsberatung."
Dieses Zitat stammt aus der "Studie zur HR-Strategie und -Organisation 2020" die von Kienbaum und SAP durchgeführt wurde. Wenn zwei solche Unternehmen eine derartige Studie veröffentlichen, muss man wissen, dass es sich um eine Marketingaktivität handelt, bei der als Ergebnis Defizite herauskommen, mit denen sich trefflich Beratungsansätze aufzeigen lassen. Zudem knüpfen sie an dem schon zum Klischee erstarrten, nicht mehr hinterfragten, Argument an, die Personaler beschäftigen sich zu wenig mit Strategie.
Wer jemals an einer von Beratern durchgeführten Kapazitätsanalyse teilgenommen hat, weiß außerdem dass derartige Prozentangaben mit Vorsicht zu genießen sind. Wo fängt die strategische Arbeit an und an welchem Punkt schlägt sie in operativer Arbeit um?
Abgesehen von diesen Vorbehalten, stecken in dem o.a. Zitat zwei grundsätzliche Irrtümer:
1. HR Business Partner
Der Business Partner ist keine organisatorische Rolle oder Funktion in HR. Als Dave Ulrich diesen Begriff Ende der neunziger Jahre in die Diskussion gebracht hat, beschreibt er ihn unter der Überschrift "Business Partners play multiple Roles" ausdrücklich als eine Eigenschft, eine Einstellung, die zu allen, von ihm beschriebenen vier HR-Rollen gehört: "Business Partner = Strategic Partner + Administrative Expert + Employee Champion + Change Agent. Anders ausgedrückt: Die HR-Funktion als Ganzes soll sich zum Business Partner entwickeln. Auch läßt sich aus diesem Modell keine Forderung ableiten, der Business Partner solle sich zumindest mit 40% seiner Kapazität mit strategischen Fragen beschäftigen, wie die o.a. Studie suggeriert.
Man sollte den oben zitierten Befund auch als Hinweis darauf lesen, dass es bisher offensichtlich nicht gelungen ist, den Business Partner als Rolle in der HR-Praxis funktionsfähig zu etablieren. Business Partner als HR-Funktion ist schlicht eine Fehlinterpretation. Ich selbst habe bei der Einführung des Business Partner Modells in einer HR-Organisation mitgewirkt und dabei erlebt, wie schwer sich Business Partner tun ihre Identität zu finden. Sie sollen die anderen Unternehmensfunktionen mit strategischer Organisationsberatung unterstützen. Diese aber wollen zunächst eine unkomplizierte operative Betreuung, welche die Business Partner nicht leisten dürfen. Die Künstlichkeit der Business Partner Rolle wird deshalb in der Unternehmensorganisation oft nicht verstanden.
HR muss sich insgesamt als Business Partner verstehen und in diesem Rahmen strategische Arbeit leisten.
2. Anteil strategischer Arbeit
Wenn ein Personaler, egal wie man ihn nennt, 26 Prozent seiner Kapazität für strategische Organisationsberatung einsetzt, ist das ein guter Wert. Mehr ist unrealistisch und wäre auch fehlgesteuerte Ressource. Auch in anderen Unternehmensfunktionen gibt es keine Stellen, die fast die Hälfte ihrer Kapazität für Strategie aufwenden. Ganz abgesehen davon, schwankt auch der Bedarf an Strategie im Zeitverlauf. Jede Strategie bewährt sich erst in den Niederungen der Taktik. Deshalb muss gerade bei personalrelevanten Strategien die operative Umsetzung mitgedacht werden. Wer immer das in der HR Funktion macht und wie man ihn nennt, man sollte dafür genügend Ressourcen bereit stellen. 
Leider wird das oft unter administrativ abgebucht und versucht mit vergeblichen Standardisierungsversuchen zu bearbeiten.

Die falsche Interpretation des Business Partner Modells und eine unrealistische Vorstellung von strategischer Arbeit führen die HR-Funktion auf einen Irrweg der auch die Akzeptanz durch die anderen Unternehmensfunktionen nicht fördert.