Sonntag, 23. August 2020

Wir brauchen ein Gesamtkonzept

In den Diskussionen und besonders in den Klagen über die Situation der Schulen am Ferienende unter Coronabedingungen gehört die Forderung zum Repertoire. Wir brauchen ein Gesamtkonzept. Dieses Geamtkonzept soll alle offenen Fragen beantworten und die Sorgen des Lehrpersonals wie auch der Eltern zerstreuen.

Doch was soll das den sein, ein Gesamtkonzept? Gerade im Bildungsbereich wird die Unsinnigkeit dieser Forderung schnell deutlich. Wer das fordert, müsste konsequenterweise den Föderalismus abschaffen. Denn ein Geamtkonzept für die Schulen müsste ja bundesweit gelten. Damit ich nicht falsch verstanden werde, das wäre absolut notwendig. Aber politisch realistisch ist es aktuell nicht. Doch selbst wenn man innerhalb eines Bundeslandes bliebe, wird es schwierig mit dem Gesamtkonzept. Ein landesweites Konzept kann kaum die unterschiedlichen Situationen in Städten, Regionen und einzelnen Schulen unterschiedlicher Schularten berücksichtigen. Wollte man das versuchen, käme wahrscheinlich ein bürokratisches Meisterwerk raus, mit dem aber niemand etwas anfangen könnte.

Die Forderung nach dem Gesamtkonzept kommt uns aber nicht nur aus dem Bildungsbereich bekannt vor. Auch in Unternehmen wird gerne nach dem Gesamtkonzept gerufen, wenn jemand beispielsweise eine Idee vorträgt. Die kann man, ohne sie direkt abzulehnen, mit dem Vorschlag, sie solle in eine Gesamtkonzept einbezogen werden, unter Berücksichtigung von allerlei Fragen, wunderbar auf die lange Bank schieben, in der Hoffnung, dass sie dann vergessen wird. Oder der umgekehrte Fall, man hat ein Problem, das eigentlich zügig gelöste werden müsse, aber niemand hat eine griffige Idee. Da wird dann eine Projektgruppe installiert, die ein Konzept entwickeln soll.

Im übrigen läßt sich Gesamtkonzept auch gut durch Strategie ersetzen. Man will oder kann sich nicht mit der aktuellen Situation auseindersetzen und ruft nach dem großen Rahmen. Dabei wäre die kurzfristige, pragmatische Einzelfallentscheidung oft die bessere Lösung. Das sieht man auch in den Schulen. Warum kann eine einzelne Schule für sich nicht ein Konzept entwickeln? Warum wird in Organisationen so oft regelrecht gewartet, bis "von oben" eine Anweisung kommt? Kurz: warum funktioniert Empowerment so schwer, obwohl schon seit Jahrzehnten davon geredet wird?

Darum müssen die Verantwortlichen in allen Arten von Organisationen jetzt den Sprung ins wirklich kalte Wasser wagen und ihren Leuten zurufen: "Vergesst die Gesamtkonzepte! Ihr habt Kompetenz und Erfahrung genug, um vor Ort die passende Entscheidung zu treffen. Wenn ihr Hilfe braucht, könnt ihr euch auf die Organisation verlassen. Und wenn ein Fehler passiert, lassen wir euch nicht im Regen stehen und zeigen mit dem Finger auf euch. Aber auch ihr müsst Verantwortung für eure Entscheidungen übernehmen."

Schön wär's. Siehe oben. Was ist nicht schon alles über Empowerment geschrieben worden? Aber vielleicht gibt die aktuelle Situation ja doch einen kleinen Denkanstoß. Darum fangt an und vergesst die Gesamtkonzepte.

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