Freitag, 31. Juli 2020

Corona hat den Mythos Strategie entzaubert


Die poststrategische Phase beginnt - und damit schlägt die Stunde der Personalfunktion

Die Unternehmensberatung Kienbaum und SAP haben eine "Studie zur HR-Strategie und -Organisation 2020" veröffentlicht. Wenn eine Beratung und ein Unternehmen, das HR-Softwarelösungen entwickelt und verkauft, eine Studie zu diesem Thema veröffentlichen, kann man leicht erahnen, was dabei herauskommt. "Das veränderte Rollenverständnis der HR-Funktion als Gestalter der digitalen Transformation erfordert, dass die HR-Funktion sich zukuünftig mehr strategischen Aufgaben widmen muss." Eingeleitet mit solchen Sätzen zeigen die Ergebnisse der Studie dann erwartungsgemäß, dass die Personaler noch weit davon entfernt sind, diesem Anspruch gerecht zu werden.
Nichts Neues also - wie lange wird den Personalleuten schon eingeredet, dass sie sich zu wenig um strategisch relevante Themen kümmern und stattdessen im Sumpf der Administration stecken bleiben?
Die haben die Kritik verinnerlicht und beklagen ihrerseits die fehlende Beteiligung an strategischen Diskussionen. Doch damit dürfte für die nächste Zeit - Corona sei Dank - Schluß sein. Gleich einem Tsunami hat die Pandemie alle Strategien durchgeschüttelt und manche spurlos weggespült. Darum, liebe PersonalkollegInnen nutzt die Gunst der Stunde.
In der erwähnten Studie wird von einem "Zielbild" ausgegangen, nachdem 40% der Ressourcen der HR-Funktion den Managementprozessen, dem "Fokus auf Strategic Excellence" gewidmet sein sollen. Weitere 40% stehen für die Kernprozesse zur Verfügung, worunter "die Abbildung des Employee Life Cycle" verstanden wird. Lediglich 20% bleiben für die Unterstützungsprozesse, also die Personaladministration übrig.
In einer Ausnahmesituation - wie sie die jetzige für viele Unternehmen ist - wird besonders deutlich, dass eine Personalabteilung schlecht beraten wäre, wenn sie ihre Ressourcen so verteilen würde. Aber auch in einer Normalsituation - was immer das zukünftig sein wird - ist eine derartige Aufstellung realitätsfern.
Machen wir uns das an zwei Themenfeldern deutlich, die für Unternehmen und für die Personalarbeit von hoher strategischer Relevanz sind:

Arbeitszeit

Durch Corona wurde es von heute auf morgen notwendig, Arbeit in einem bisher nicht geahnten Ausmaß ins Home Office zu verlagern. Keine Strategie dieser Welt hätte diese Aktion voraussagen können. Stattdessen ist ein Haufen operativer und auch administrativer Detailarbeit zu bewältigen, gerade von der HR-Funktion.
Trotzdem drängt sich gerade jetzt die Frage noch stärker auf, wie müssen wir zukünftig unsere Arbeit organisieren? Ohne Zweifel ist dafür ein strategischer Ansatz notwendig. Doch wenn die längerfristigere Richtung klar ist, müssen die Details der Umsetzung geklärt werden. Wer jemals ein Arbeitszeitsystem konzipiert hat, weiß, dass in einem solchen Projekt höchstens 30% der Kapazität für Strategie, dafür aber 70% für die Realisierung, einschließlich der Verhandlungen mit der Arbeitnehmervertretung, notwendig sind. Und zu diese Umsetzungskapazität muss die Personaladministration einen wesentlichen Teil beitragen. Standardisieren kann man nur laufende und funktionierende Prozesse. Die Konzeption und Implementierung der Prozesse sind aufwendige Detailarbeit, die sehr viel Expertise erfordert.

Entgelt

Ebenso von hoher strategischer Bedeutung ist die Frage, wie wollen wir unsere Beschäftigten vergüten.
Doch auch gilt wie schon bei der Arbeitszeit. Ohne fundiertes administratives Know How läßt sich die tollste Vergütungsstrategie nicht umsetzen.

An diesen Beispielen kann man auch verdeutlichen wie stark Personalarbeit externen Einflüssen ausgesetzt ist. Beispielhaft seien nur tarifvertragliche oder sozialversicherungsrechtliche Regelungen genannt. Der Umgang damit läßt sich nicht standardisieren. Auch wenn man Fachkompetenz extern zukaufen kann, der Löwenanteil der Umsetzung bleibt im Unternehmen hängen.

Ohne Frage gibt es strategisch relevante Themen in der Personalarbeit. Diese müssen auch als solche erkannt und bearbeitet werden. Doch die Arbeit an der Strategie erfordert die laufende Rückkopplung mit den Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Taktik.
Für die "Ressourcenallokation der HR-Funktion" heißt das, 40% der Kapazität für Managementprozesse sind zu viel und auch unrealistisch. Wenn der Istwert bei 19% liegt, sollte man darin auch einen Hinweis sehen, dass da möglicherweise nicht mehr soviel Luft nach oben ist.
Abgesehen davon ist die Trennung in Management-, Kern- und Unterstützungsprozesse analytisch und damit künstlich. In der Praxis sind in allen drei Prozesstypen strategische Elemente enthalten.

Dienstag, 14. Juli 2020

Der aktuellste Un-Sinn: Purpose


Purpose in Unternehmen: Wisssen sie nicht, was sie tun?

Purpose, wieder eine Wutz, die durchs Dorf getrieben wird. Und auch der geht es so, wie den armen Schweinen, die nicht mehr wissen wohin, seit der Schlachthof geschlossen ist. Was soll eigentlich das Gerede vom Purpose? Wissen Unternehmen nicht mehr wozu sie da sind? Man könnte vielleicht noch verstehen, wenn bei der Lufthansa eine Sinnfrage gestellt wird? Aber weiß beispielsweise SAP nicht mehr, wozu es da ist? Sollen keine Software mehr entwickelt oder IT-Lösungen angeboten werden, um beim Beispiel zu bleiben? Und wie sieht es mit dem Profit aus? Gehört das nicht mehr zum Sinn eines Unternehmens?

Und wie sieht es mit den Beschäftigten aus? Was macht für sie der Sinn ihrer Arbeit aus? Sie wollen ihre Kenntnisse und Erfahrungen einbringen und wertschätzend geführt werden, wozu auch eine ordentliche Bezahlung und faire Arbeitsbedingungen gehören.

Aber bei der Sinnfrage soll es um mehr gehen. Welchen Beitrag leistet das Unternehmen für die Gesellschaft? Herr Thönnies beispielsweise hat diese Frage mit dem Hinweis beantwortet, dass sein Unternehmen den Auftrag habe, die Gesellschaft mit Fleisch zu versorgen. Daran sieht man, was sich alles unter Sinn verkaufen läßt. Und wenn man Firmenbeispiele liest, in denen zur erhöhten Sinnstiftung die Entscheidungsfindung soweit wie möglich nach unten verlagert wurde oder mit den Mitarbeitern mehr kommuniziert wird, dann ist das sicher positiv zu bewerten und trägt auch zur Zufriedenheit der Beschäftigten bei. Mit Sinn hat das allerdings nur in soweit zu tun, als es hilft die Leistung zu steigern und im besten Fall auch ein besseres Ergebnis zu erzielen. Womit wir dann wieder beim wesentlich Sinn eines Wirtschaftsunternehmens wären, nämlich Gewinn zu erzeugen.

So setzt sich sich das Gerede von Purpose sehr leicht dem Verdacht aus, Ideologie zu sein. Besonders deutlich wird das, wenn ein Unternehmen in der Krise ist. Wenn eine Personalreduzierung ansteht, ist von Sinn nicht mehr die Rede. Im übrigen, wenn ein Unternehmen einen Beitrag für die Gesellschaft leisten will, ist es schon ein guter Schritt, die Steuern so zu zahlen, wie es notwendig wäre.

Sonntag, 5. Juli 2020

Employee Experience

Selbst in den Schlachtbetrieben zerplatzt diese Seifenblase nicht

Auch in diesen Zeiten findet man bei einem Streifzug durch die Posts der einschlägigen Seiten immer noch Beiträge, die voll sind mit Lobpreisungen von Employee Experience, oder kurz EX. Employee Experience bedeutet ja eigentlich Erfahrung der Mitarbeiter. Bei dem Ansatz geht es darum, diese in dem Mittelpunkt zu stellen, damit die Mitarbeiter motiviert und beider Stange bleiben. In der üblichen Managementlyrik heißt das, dass inspirierende Arbeitserlebnisse geschaffen werden müssen, um das Engagement der Beschäftigten zu steigern. Wer angesichts der Situation in den Fleischbetrieben noch an derartige Lehren glaubt, muss entweder Berater oder realitätsfern sein. Nun werden natürlich die Befürworter einwenden, gerade diese Vorfälle machen deutlich, wie notwendig es ist für motivierende Arbeitsbedingungen zu sorgen. Sie merken aber wohl hoffentlich, dass sie mit diesem Argument deutlich machen, wie schwammig und unbestimmt dieses Konzept ist. Es ist ein schönes Besipiel dafür, wie für eigentlich Selbstverständliches oder Althergebrachtes ein schickes Etikett gefunden wird mit dem dann eine Zunft Geld verdienen kann.

Man muss allerdings gar nicht bis zu den Schlachtbetrieben gehen, um festzustellen, dass es mit Employee Experience in der Praxis nicht so weit her ist. Gerade hat die Bertelsmann-Stiftung eine Studie veröffentlcht, die offenbart, dass zunehmend auch qualifizierte Tätigkeiten unterhalb der Niedriglohnschwelle vergütet werden. Die Anzahl Niedriglohnbeschäftigter, die Tätigkeiten mit mittleren oder gar hohen Qualifikationsanforderungen ausüben ist seit Mitte der 90er Jahre deutlich angewachsen. Niedrige Löhne dienen nicht mehr nur dem Einstieg in den Arbeitsmarkt, sondern sind häufig ein Dauerzustand.

Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat ein Discussion Paper zur Lohnungleichheit bei Vollzeitbeschäftigten veröffentlicht und darin festgestellt, dass es in Westdeutschand zwischen 1980 und 2010 zu einem deutlichen Anstieg der Lohnungleichheit bei Vollzeitbeschäftigten gekommen ist.

Die Personalkosten sind noch immer die Nummer 1, wenn es um Kosteneinsparung geht. Da ändert auch alles schöne Gerede von Enployee Experience nichts dran. Wenn überhaupt ist das ein Thema fürs ganz schöne Wetter und wenn es mal sonst keine Probleme geben sollte. Aber davon sind wir am Arbeitsmarkt ja im Moment ziemlch weit entfernt. Also ab in die Mottenkiste mit EX.