Freitag, 14. Februar 2020

Bleibt im Change die Moral auf der Strecke?

Betroffene Mitarbeiter beklagen Aufweichung von Werten und Normen

Die Personalwirtschaft zitiert in ihrem Online Newsletter (6.2.) aus der Führungskräftebefragung einer Beratungsgesellschaft, dass 49% der befragten Unternehmen angaben, in ihrer Firma werde an 15 bis 60 Change-Projekten gleichzeitig gearbeitet. Ehe einem bei dieser Zahl der Atem stockt, sollte man bedenken, dass natürlich irgendwo jedes Projekt etwas verändern soll, ob man nun das Etikett "Change" draufklebt oder nicht. Egal ob Change- oder andere Projekte, diese hohe Zahl erzeugt bei den Betroffenen einen hohen Erfolgsdruck.

Auf den ersten Blick erstaunlich ist, dass die befragten Führungskräfte nur für jedes fünfte Projekt einen erfolgreichen Abschluß erwarten. Wenn man allerdings "Change-Erfahrung" hat, erstaunt diese Zahl weniger. Das sind die Skeptiker unter den Befragten, die "Bedenkenträger", die "das haben wir doch alles schon mal gehabt" Räsonierer, die meist selbst mehr oder minder kräftig dazu beitragen, dass aus dem Projekt nichts wird.
Bedenklich ist allerdings der Befund, dass fast die Hälfte der Befragten das Gefühl hat, dass Werte und Normen weniger beachtet werden und sogar 72% gaben an, dass die Wertschätzung vernachlässigt wird. Nun ist Ethik in Unternehmen schon immer ein Schönwetterthema gewesen. Solange das Prinzip der Gewinnmaximierung bei vielen Unternehmen noch die Ausrichtung für das Wertesystem vorgibt, haben Moraldiskussionen nur eingeschränkte Durchschlagskraft.
Allerdings muss man die zitierten Befragungsergebnisse auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Dabei muss ich an ein eigenes Erlebnis denken. Wir haben im Unternehmen einen Entgeltrahmenvertrag eingeführt. Ein echtes Change-Projekt also, bei dem ein lange bestehender Tarifvertrag abgeschafft und durch eine neue tarifliche Regelung ersetzt wird, die Auswirkungen auf die individuellen Entgelte hat. Bei einem solchen Projekt gibt es immer Gewinner und Verlierer. Auch bei den Verlierern war das bestehende Entgelt gesichert, es gab allerdings Anrechnungen von Tariferhöhungen, die sich über eine längere Zeitstrecke auf die Steigerung des Entgeltes auswirkten.
Die Einführung des neuen Tarifvertrages wurde durch umfassende Informations- und Kommunikationsmassnahmen begleitet und auch dieArbeitnehmervertretung stand dahinter. Während einer Diskussion in einer Abteilung wurde ich von einer Mitarbeiterin in meiner Funktion als Projektleiter mit deutlichen Worten als unmenschlich bezeichnet. Wenn man dieser Mitarbeitern die Frage gestellt hätte, ob in ihrem Unternehmen noch auf Werte geachtet würde, hätte sie sicher auch ein negatives Statement abgegeben.
Man kann also davon ausgehen, dass bei Projekten, die Veränderungen mit sich bringen, diejenigen, die - berechtigter- oder auch unberechtigterweise - für sich darin Nachteile sehen, dazu neigen, das bisherige Wertesystem in Gefahr zu sehen.
Wenn die Moral auf der Strecke bleibt, muss das nicht unbedingt an einem Change-Projekt liegen, dann war sie meist auch vorher schon nicht in Ordnung. Das schlägt in der Veränderungssituation stärker durch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen