Sonntag, 29. Dezember 2019

Das Handicap der Introvertrierten....

....sind die extrovertierten Kollegen

In einem Lernportal im Internet gibt es angeblich Tipps für Schüler, wie sie sich auch mit Nichtwissen noch profilieren können. Auch wenn man keine Ahnung vom Unterrichtsstoff hat, solle man so tun, als hätte man sie. Das Portal rät, sich einfach dann zu melden, wenn die Lehrerin gerade einen anderen dran genommen hat. "Sie wird denken, dass du dich beteiligst. Aber nun ist erst einmal ein anderer dran. Kommst du dann an die Reihe, wiederholst du einfach das Gesagte in anderen Worten."

Ich habe nicht überprüft, ob das in dem Portal tatsächlich so empfohlen wird. Ich glaube es allerdings auch so. Gerade die Fähigkeit, bereits Gesagtes mit anderen Worten nochmal zu wiederholen, ist aus Meetings bis zum Überdruß bekannt. Es gibt Kollegen, mittlerweile auch Kolleginnen, die geradezu darin begabt sind.
Das Spielchen geht folgendermaßen: Ein eher stiller Mensch traut sich mit einer durchaus guten Bemerkung hervor, möglicherweise einem Einwand gegen vorher Vorgeschlagenes. Ein anderer mehr extrovertierter, eloquenter Teilnehmer erkennt das Potenzial der Bemerkung, reagiert aber trotzdem mit unfundierter Ablehnung. Der Stille traut sich nicht mehr seine Position zu vertreten, erst recht nicht, wenn der andere ein Alphatier ist. Wenn es dann passt, manchmal selbst dann, wenn es nicht passt, kommt der Extrovertierte mit genau dem Argument wieder, verkleidet in andere Formulierungen und meist wortreicher.
Das ist zugespitzt immer noch eines der Grundprinzipien der Personalentwicklung.
Die extrovertierten, eloquenten, durchsetzungsstärkeren und auch "lauteren" werden schneller und besser wahrgenommen und haben dadurch auch Vorteile bei der eigenen Karriere. Das nehmen wir selbst wahr und das wird auch immer wieder durch Studien und Experimente bestätigt.
Doch sollte man das nicht per se kritisch sehen. Wer eine Führungsaufgabe übernehmen will, muss wahrgenommen werden, muss sich ausdrücken und auch durchsetzen können. Eine Portion Eloquenz kann dabei nicht schaden.
Folgende Fallkombinationen kann man unterscheiden und erkennen, wo die Probleme liegen:

Der Extrovertierte, der auch kompetent ist
Das ist die Idealkombination. Womit hier Kompetenz nicht nur Fachkompetenz meint.
Wenn dazu noch Empathie, Selbstreflexion und Humor kommen, ergibt das die ideale Führungskraft.

Der Extrovertierte, der nicht mehr Ahnung hat, wie der Durchschnitt
Hier lauert die große Falle für die Personalentwicklung. Wer sich nur besser verkaufen kann, ohne auch entsprechenden "Mehrwert" zu bieten, sollte es eigentlich auch nicht weiter bringen, wie der Durchschnitt. Doch gerade hier werden die meisten Fehler gemacht.

Der Introvertierte, der kompetent ist und Potenzial hat
Auch das ist eine typische Falle. Aber ihn oder sie zu "entdecken" ist kein Hexenwerk. Man muss sich mit den Leuten beschäftigen und nicht immer auf die Lautsprecher hören. Man muss genau hinsehen und zuhören. Es ist nicht jeder für eine Führungsposition geeignet und auch nicht jeder will führen. Man muss mit diesen Menschen reden, herausfinden, was sie wollen und ihre Stärken zur Entfaltung bringen. Gerade sie brauchen oft mehr Zuwendung und Anerkennung.

Der Introvertierte, der einen ordentlichen Job macht, aber keine Ambitionen hat
Von ihm lebt jede Organisation. Darum braucht er Wertschätzung. Aber gerade dieser Typ wird oft sträflich vernachlässigt.

Der Introvertierte, der glaubt, er hätte eigentlich einen besseren Job verdient
Mit ihm/ihr muss man eine sorgfältige Standortbestimmung durchführen. Was wollen sie wirklich?
Hat sie wirklich Potenzial für weiterführende Aufgaben? Wenn nicht, dann muss man es ihm erklären. Aber nicht unter dem Motto: "Vergiss es, aus dir wird nie was." Auch der Typ hat sicherlich Stärken, die man fördern kann.

Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit und mit einigen einfachen Kategorisierungen ist es auch nicht getan. Nichts ist schädlicher für Personalentwicklung wie derartige Schematisierungen.
Hier sollte es darauf ankommen zu zeigen, dass Extrovertiertheit und damit zusammenhängende Eigenschaften nicht zwangsläufig negativ sein müssen, sehr schnell aber kritisch werden können.
Extrovertiertheit wirkt dann negativ, wenn man sie unhinterfragt und ungesteuert zur Geltung kommen läßt.

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