Freitag, 30. August 2019

Das agile Paradox

Selbstorganisation als Ideologie

"Agil" ist das Zauberwort wenn es um die Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen in der Arbeitswelt, verursacht vor allem durch die Digitalisierung, geht. Es wird nach agilen Methoden gerufen, wenn möglich soll die ganze Organisation agil sein. Der inflationäre Gebrauch des Begriffs hat schon dazu geführt, dass er von einigen als Buzzword geführt wird. Das sollte eigentlich zu denken geben. Doch die Digitalisation Evangelists und sonstigen Management-Heilslehrenprediger stört das nicht. Sie fordern weiter Agilität ein und preisen die dazugehörigen Methoden an. Getrieben wird der Hype natürlich durch die Beraterzunft, die an der Verbreitung der Lehre kräftig verdient.
Ursprünglich stammen die Konzepte, die unter der Agilitätsflagge segeln aus der
Softwareentwicklung und sollten dort Entwicklungsprozesse beschleunigen und besser an die Kundenanforderungen ausrichten. Inzwischen finden sie in verschiedenen Ausprägungen auch Anwendung auf etlichen anderen Feldern, wobei die Produktentwicklung mit Hilfe von Design Thinking noch naheliegend ist. Die Ausbreitung auf immer neue Gebiete wird jedoch selbst von manchen Jüngern skeptisch gesehen.
Man sollte deshalb ruhig einmal genauer hinsehen, was es mit der neuen Agilität auf sich hat. Wobei in der "modernen" Verwendung des Begriffs schon einige Arroganz steckt. Er suggeriert, dass Organisationen vorher nicht agil gearbeitet hätten. Aber genau mit diesem unterschwelligen Vorwurf provoziert er natürlich Aufmerksamkeit.
Ein zentraler Begriff im Zusammenhang mit Agilität ist Selbstorganisation. In der Nomenklatur des Scrum-Ansatzes beispielsweise wird von den Entwicklungsteams gefordert, dass sie sich selbst organisieren. Innerhalb des Teams dürfen auch hierarchisch begründete Unterschiede zwischen Teammitgliedern keine Rolle spielen. Überhaupt ist Hierarchie so etwas wie die Erbsünde aus Sicht dieser Lehre. Sie ist die Ursache für langsame Prozesse, autoritäre Führung und die Kreativitätsbremse schlechthin. Bei näherer Betrachtung von Scrum fällt allerdings auf, dass die Methode mit einem ausgefeilten Regelwerk daherkommt. So sind bestimmte Rollen beschrieben, die in teilweise detailliert vorgebenen Prozesselementen ausgeübt werden müssen. Der Informationsaustausch innerhalb des Entwicklungsteams erfolgt in präzise vorgeschriebenen Meetingprozeduren. Zeitvorgaben müssen konsequent eingehalten werden. Auch wenn dieser Punkt für sich genommen durchaus positiv gewertet werden kann, wirkt der Ansatz insgesamt sehr formalisitisch
Nebenbei: am Beispiel der Rolle des Scrum Masters kann man schön sehen, dass auch hier wieder nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt wird. Dieser darf dem Team keine Anweisungen geben, sondern soll dienende Führungskraft und Coach sein. Das kennen wir doch aus der Empowerment-Bewegung, die schon lange sanft in Frieden ruht. Die Agilitätsjünger sollten sich vielleicht einmal fragen, warum dieser gute Ansatz sich nicht durchsetzen konnte.
Wenn die Art und Weise in einem Projekt zu arbeiten so detailliert vorgeschreiben wird, kann man kaum von Selbstorganisation sprechen. Die Selbstorganisation findet in einem genau vorgegebenen Rahmen statt. Die Hierarchie soll überwunden werden, aber sie wird in ein dichtes Regelwerk gegossen und wirkt subtil weiter. Wenn das den Teilnehmenden dann als Selbstorganisation "auferlegt" wird, wird diese zur ironischen, um nicht zu sagen zynischen, Ideologie.

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