Können sie sich in ihrem Job verwirklichen?
Wenn sie beide Fragen mit Ja beantworten können, dann sollten sie je nach Geisteslage schnell eine Flasche Sekt aufmachen und auf diesen Zustand ein Glas trinken oder in die nächste Kirche eilen und eine Dankeskerze anzünden. Denn dann gehören sie, wenn man den Ergebnissen etlicher einschlägiger Umfragen (z.B. die regelmäßige Gallup-Befragung) glauben kann, eher zu den Ausnahmen in der arbeitenden Bevölkerung. Gerade in den Gallup-Umfragen der letzten Jahre fallen immer wieder die hohen Anteile derjenigen auf, die nicht mit großer Identifikation zur Arbeit gehen. Was von den Interpreten dann vorschnell, wie ich meine, mit "innerer Kündigung" gleich gesetzt wird. Wenn ich mir hier wieder mein Beispiel vom Paketboten vor Augen führe, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es viele Menschen gibt, die zwar ihren Job ordentlich und pflichtbewußt ausüben, aber dennoch lieber etwas anderes machen würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten.Deren Hauptmotivation zu arbeiten, der Broterwerb ist. Daran sollte auch nichts auszusetzen sein.
Gleichwohl zählen Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung zu den meist genannten Zielen, die Beschäftigte und solche, die es werden wollen, mit ihrer Arbeit anstreben. Noch vor dem Einkommen. Auch dagegen ist nichts einzuwenden. Ich würde auch jedem Jugendlichen, der vor der Berufswahl steht, raten, auf seine Interessen und Fähigkeiten zu achten. Auch die Frage, woran man vielleicht Spaß haben könnte, darf nicht verboten sein.
Doch der Wunsch nach Selbstbestimmung und -verwirklichung sollte auch mit einer Portion Nüchternheit unterlegt sein. Zunächst man sich darüber klar sein, dass die Arbeit, die man heute macht oder anfängt, in zehn Jahren eine andere sein wird. Ich muss also immer damit rechnen, dass ich in berufliche Phasen komme, in denen Spaß oder Zufriedenheit mitunter deutlich reduziert sein können. Aber auch solche Phasen muss man durchhalten können.
Wie weit kann Arbeit überhaupt selbstbestimmt sein? In einer betrieblichen Organisation muss ich mich immer nach Vorgaben richten. Ich muss Aufgaben abarbeiten. Selbst ein Manager mit weiten Entscheidungspielräumen muss bestimmte Ziele erreichen und sich an Regeln halten. Auch der freiberufliche Einzelkämpfer ist auf Aufträge angewiesen und muss die Wünsche seiner Kunden respektieren.
Trotzdem kann man sich auch in einem derartigen Rahmen selbst verwirklichen. Dazu muss man sich allerdings etwas kennen. Was macht mein "Selbst" aus? Was sind denn meine Fähigkeiten, meine Talente - und jeder hat welche - , meine Stärken, meine Schwächen? Dann kann ich versuchen diese und damit mich zu verwirklichen.
Nur, wenn das dann mal nicht oder nur eingeschränkt möglich sein sollte, dann kann und muss man nicht gleich in Depression verfallen. Man kann und muss Selbstbestimmung und -verwirklichung auch in anderen Lebensbereichen außerhalb der Arbeit finden. Und kein Unternehmen sollte so überheblich sein und glauben oder anstreben, dass alle seine Mitarbeiter sich zu hundert Prozent mit ihrer Arbeit identifizieren oder gar für ihren Job "brennen".
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