Donnerstag, 29. Mai 2025

Schafft Bayer die Hierarchie ab?

Das könnte man meinen, wenn man die mediale Berichterstattung über ein Projekt verfolgt, das der Bayer Chef Anderson dem Konzern verordnet hat: DSO - Dynamic Shared Ownership (s. auch meinen Post vom 1.8.2025 dazu).

Die ZEIT titelt einen Artikel über das Projekt mit "Er zersägt die Karriereleiter" (Nr.20, 15.5.) Das Rezept des Chefs (!) Bill Anderson: Chefs abschaffen.

Ob dem Texter der Headline die Ironie bewußt war, die in der Zeile steckt?

Nun kann ein derartiger Artikel naturgemäß kein umfassendes und differenziertes Bild eines solchen Projektes zeichnen. Er versucht aber positive wie kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. 

Zwei Hinweise sollte der kritische Beobachter aber schon jetzt aufnehmen:

Das Projekt wurde vom obersten Chef verordnet. Dass die Mitarbeiter künftig eigenverantwortlicher entscheiden sollen, wurden ihnen von der Spitze der Hierarchie vorgegeben. Das bedeutet, auch die Reduzierung der Hierarchie - oder wenn sie denn möglich wäre, ihre Abschaffung - müsste sich die Hierarchie selbst vorgeben. Allein die Tatsache, dass es noch einen CEO gibt, zeigt, dass es ohne Chefs und damit auch ohne Hierarchie nicht gehen wird.

In dem Artikel wird auch erwähnt, dass Bayer einen Standort in Frankfurt schließen wird. Man darf davon ausgehen, dass eine solche Entscheidung nicht von den betroffenen Beschäftigten getroffen wird. Auch sie kommt "von oben" aus der Hierachie.

Die Information, dass die Mitarbeiter sich darüber gefreut haben, einen Pausenraum mit eigenem Budget selbst zu gestalten, entlockt einem allerdings nur ein müdes Lächeln. Derartige Aktionen waren schon in den neunziger Jahren im Zuge der Gruppenarbeitsbewegung gang und gebe. 

Also auch hier sollte man, wie immer, wenn von Hierchiereduzierung oder gar -abschaffung die Rede ist, sehr kritisch hinschauen. Lasst uns in ein oder zwei Jahren nochmal draufschauen, was daraus geworden ist.

Dienstag, 15. April 2025

Trump zwingt Unternehmen ihre Bekenntnisse zur Vielfalt aufzugeben

Erreicht er damit das Gegenteil von dem, was er will?

In der Organisationssoziologie wird gerne das schöne Bild von der Vorderbühne und der Hinterbühne benutzt. Auf der Vorderbühne stellt die Organisation sich so dar, wie sie gerne von dem für sie interessanten Publikum wahrgenommen werden möchte. Das unterscheidet sich in der Regel von dem, was sich hinter dieser Bühne abspielt. Dort geht es "um's Geschäft". Dort spielt die informelle Kommunikation eine wichtige Rolle und über deren Kanäle wird entscheidend beeinflusst, was in der Organsiation "wirklich" passiert.

Dass es letztendlich um's Geschäft, sprich, um den Profit, geht, zeigt Trumps Aktion sehr deutlich. Willfährig korrigieren viele Unternehmen postwendend ihre wohlklingenden Diversity-Bekenntnisse, um nicht in den Trumpschen Bannstrahl zu geraten und Aufträge zu verlieren.

Doch man sollte die Hoffnung nicht zu früh aufgeben. Das, was die Unternehmen zunächst machen, ist die Umdekoration des Schaufensters. Die regenbogenfarbige Diversitydeko wird durch allgemeine, unverbindliche Floskeln ersetzt. Da man davon ausgehen kann, - siehe oben - dass schon vorher das schöne Bild auf der Vorderbühne der Realität im Hintergrund nicht so ganz entsprochen hat, braucht das Bemühen um Vielfalt noch keinen allzu großen Schaden zu nehmen.

Entscheidend ist, was tatsächlich getan wird. In Zeiten eines Fachkräftemangels kann es sich kein Unternehmen leisten bei der Personalrekrutierung voreingenommen und vorurteilsbehaftet vorzugehen. Wertschätzende Führung - und das ist die entscheidende Voraussetzung für den Respekt vor den Persönlichkeiten der Mitarbeitenden - kann auch der amerikanische Präsident nicht beeinflussen.

Zumal es dem ja auf die Erzeugung von Bildern ankommt. Also, auch wenn es auf der Vorderbühne den Eindruck vermittelt, mit Diversity sei es erstmal vorbei, in der Alltagspraxis der Organisation kann trotzdem eine wertschätzende Führungskultur herrschen.

Freitag, 21. März 2025

SAP macht Rückschritte

...und führt wieder Leistungsbeurteilungen ein 

An dieser Stelle hatte ich SAP schon lobend erwähnt, als man vor Jahren die Leistungsbeurteilungen abschaffte. Nun die Kehrtwende: nicht nur, dass die Beschäftigten wieder drei Tage die Woche im Büro sein müssen, es werden auch wieder Leistungsbeurteilungen eingeführt.
Wie zu lesen war, will der Softwarehersteller die Belegschaft künftig in verschiedene Kategorien einteilen: Blau für Leistungsträger, grün für die Mehrheit, die die Erwartungen erfüllt und gelb für jene, bei denen Verbesserungen einhefordert werden sollen.
Die Einteilung der Belegschaft in Leistungsklassen, die dann mit Farben gekennzeichnet werden, kommt, wenig überraschend, aus den USA. In meinen Augen ist es eine wenig wertschätzende Beurteilungsmethode. Das differenzierte Leistungsbild eines individuellen Mitarbeiters wird auf eine Farbe reduziert.
Ein Schritt, der um Jahrzehnte zurück ins gut gefüllte Museum der Managementlehren führt und eine schon stark angestaubte Methode aus der Vitrine holt. Passt das zu einem Unternehmen, dessen Geschäft moderne Technologien sind?
Von einem "neuen Ansatz im Performance-Management", wie zu lesen war, kann wirklich keine Rede sein.
Warum ignoriert man die schon lange bekannten Nachteile sogenannter Leistungsbeurteilungssysteme?
Zum Beispiel den immer wieder feststellbaren Trend zur positiven Beurteilung. Man kann sich jetzt schon die krampfhaften Bemühungen vieler Führungskräfte vorstellen, möglichst wenigen Mitarbeiternden den gelben Hut aufzusetzen. 
Glauben die Verantwortlichen bei SAP im Ernst sie fördern damit die "Leistungskultur"?
Apropos Hut: Wäre es nicht eine gute Ergänzung dieses Systems, wenn man den Beschäftigten auch Mützen in en entsprechende Farben verordnen würde? Dann wäre auf dem SAP-Campus gleich erkennbar, wie die Kollegin oder der Kollege enzuschätzen ist. Das würde auch die Transparenz gegenüber Kunden erhöhen.
 
(Mehr zur kritischen Auseinandersetzung mit Leistungsbeurteilungen in: Armin Zisgen, Rettet die Führung, 248 S.)

Donnerstag, 20. Februar 2025

Was wird sich durch KI nicht ändern?

Auch die Industriegeschichte lässt Märchen entstehen.

Märchen sind Geschichten, die den Lesern meistens eine gute Botschaft vermitteln wollen. Es wird gut ausgehen, das Böse wird nicht siegen. Darum werden sie immer wieder erzählt und verfestigen sich im Laufe der Überlieferung.
Heute tauchen Märchen gelegentlich auch unter der Bezeichnung Narrativ auf.
Ein solches Narrativ, dem man durchaus schon den Status eines Märchens zusprechen darf, ist die Erzählung, dass technischer Fortschritt uns von Routinearbeiten entlastet und den Beschäftigten mehr Freiraum für Kreativität läßt, die Beratung der Kunden oder was in der jeweiligen Tätigkeit sonst noch zu den eigentlich wichtigen Kernaufgaben zählt.
Nun kann man den ersten Teil der Aussage nicht leugnen. Technischer Fortschritt erleichtert die Arbeit, stellt Hilfmittel zur Verfügung und schafft damit tatsächlich Freiräume, die anderweitig genutzt oder Arbeit angenehmer machen könnten.....könnten.
Doch technischer Fortschritt verdichtet auch Arbeit. Die Produktivität wird erhöht. In kürzerer Zeit kann mehr Output erzeugt werden. Diese Freiräume aber kommen nicht den Beschätigten zugute, weder für mehr kreativen Spielraum noch in Freizeit. Man erinnere sich nur daran welche Arbeitskämpfe notwendig waren, um Wochenarbeitzeiten zu verkürzen.
Die Erleichterung der Arbeit auf der einen Seite muss durch mehr und schnellere Leistung auf der anderen kompensiert werden. Ganz abgesehen von den Arbeitsplätzen, die durch technischen Fortschritt ganz wegfallen.
Warum soll das mit dem Einzug von KI anders sein?
Man sollte es allerdings auch nicht als Argument gegen technischen Fortrschritt verwenden. Man sollte nur ehrlich damit umgehen. Und vielleicht finden sich ja dann auch Wege, einen Teil des Produktivitätsfortschritts ohne Kämpfe an die Beschäftigten weiterzugeben. 
Das wäre dann mal ein echter Beitrag zur Vermittlung von Purpose.
 

Freitag, 13. Dezember 2024

Frontbericht vom War of Talents

Oder wie war das mit dem Fachkräftemangel? 

Eine Frau mit eigentlich weiblich klingendem Vornamen bewirbt sich bei einer Leasingfirma. Sie erhaält ein automatisch erstelltes Schreiben mit der Anrede Sehr geehrter Herr.... 
Dann folgt nahtlos fettgedruckt die Überschrift Zustimmung zum Datenschutz.
Im folgenden Absatz des Schreibens wird die Bewerberin in schulmeisterlich bürokratischem Ton aufgefordert den Datenschutzbestimmungen zuzustimmen, andernfalls könne ihre Bewerbung nicht bearbeitet werden.
Erst im letzten Absatz gibt man der Freude Ausdruck, dass man die Bewerbung erhalten hat.

Personalmarketing wie es sein muss. So motiviert man Bewerberinnen. Die Kunden der Leasingfirma sind offensichtlich damit zufrieden, denn es ist kein Newcomer und hier in der Region am Markt bekannt.
Dann müssten ja auch bald die Klagen über den Fachkrftemangel aufhören.

Samstag, 14. September 2024

"Die Meinung unserer Mitarbeiter zählt"

So titelt ein mittelständischer Maschinbauer die Sonderausgabe seiner Mitarbeiterzeitschrift in der es um die bevorstehende Mitarbeiterbefragung geht.
Auf der zweiten Seite wird die Entwicklung des Engagement-Index dargestellt, der von 45 im Jahr 2016 bis auf 66 in 2022 angestiegen ist. Für die nächste Befragung strebt man einen Wert von 72 an. Leider gibt es nur die Information, dass dieser Index mittels eines Fragebogens von 29 Fragen ermittelt wird. Wie der Index genau zustande kommt, wird nicht vermittelt. Denn man kann ja durchaus nachfragen, wie man das Engagement eines Unternehmens mit international über zehntausend Beschäftigten in einer Zahl zusammenfasst.