Freitag, 18. August 2023

Zuviel Purpose behindert Change

Wenn ihre Organisation veränderungsfähig sein soll, dann verzichten sie auf Sinnstiftung

Stellen sie sich vor, sie haben ein Unternehmen, das Schnürsenkel herstellt. Ihre Beschäftigten kommen täglich hochmotiviert zur Arbeit, weil es ihnen gelungen ist, diese davon zu überzeugen, dass ohne Schnürsenkel kein menschliches Leben funktioniert. Schon morgens beim Schuhe anziehen wird jeder Mitarbeiterin klar, dass ohne ihre tägliche Arbeitsleistung der Tagesablauf kaum zu bewältigen wäre. Natürlich gibt es Schuhe ohne Schnürsenkel. Doch deren Einsatzfähigkeit ist begrenzt. Ihre Mitarbeiter haben verinnerlicht, dass viele Schuharten ohne Schnürsenkel nicht vorstellbar sind. Sie achten darauf, dass ihre Schnürsenkel nachhaltig produziert werden und ihre Leute können im Schlaf aufsagen, wie ihre Produkte erzeugt werden. Kurz, sie identifizieren sich voll und ganz mit dem, was sie tun.
Doch plötzlich geschieht Unfassbares. Ein Tüftler meldet einen Fußballschuh zum Patent an, der ohne herkömmliche Bindung auskommt. Dann geht die Entwicklung rasend schnell. Das Patent findet auch auf andere Schuharten Anwendung und es ist abzusehen, wann der Umsatz einbrechen wird. Sie müssen handeln.
Sie ziehen sich mit den Führungskräften der relevanten Abteilungen zu einem Klausurworkshop zurück. In einer flammenden Einführungsrede versuchen sie den Teilnehmenden das bevorstehende Ende des Schnürsenkels vor Augen zu führen. Wir gewohnt, erwarten sie, dass sofort Vorschläge kommen, was man nun tun könne und wie man auf diese Situation reagieren solle. Doch kaum haben sie ihre Präsentation beendet, setzt heftiger Protest ein. Der Schnürsenkel sei durch nichts zu ersetzen...Modeerscheinung...erst mal die Entwicklung beobachten....was sollen wir denn sonst machen....man sei ja völlig überrumpelt....wir können doch die Arbeitsplätze nicht aufs Spiel setzen....
Wir können das Beispiel hier abbrechen. Sie ahnen oder wissen aus eigener Erfahrung, wie so etwas gewöhnlich weitergeht.
Stellen sie sich dagegen vor, der Schnürsenkelfabrikant hätte seinen Leuten erklärt, dass Schnürsenkel ein Alltagsprodukt sind, mit dem sie ihre Geld verdienen und dass es darauf ankommt, dass "am Ende des Tages" die Kasse stimmt. Er hätte dafür gesorgt, dass sie wertschätzend geführt und ordentlich und fair bezahlt werden. Er hätte ihnen vermittelt, dass sie auch mit den Kunden und Lieferanten fair und mit den Ressourcen schonend umgehen sollen. Und er hätte sie angehalten den Markt sensibel zu beobachten und auch das Produkt immer wieder zu hinterfragen.
Die oben geschilderte Veränderungssituation wäre in diesem Rahmen sicher anders verlaufen.
Es ist in der Organisationssoziologie schon lange keine neue Erkenntnis mehr, dass zuviel Identifikation Veränderungen eher behindert. Niklas Luhmann hat darauf hingewiesen, dass eine Organisation an Elastizität verliert, wenn sich die Mitarbeitenden allzu sehr mit einem Zweck identifizieren. Immer da, wo die Identifikation mit einem Zweck - in unserem Beispiel der Bedeutung des Schnürsenkels - besonders ausgeprägt ist, wird es schwierig mit dem Wandel. 
Ein Unternehmen wird flexibler, wenn es Fragen der Mitarbeitermotivation nicht mit überhöhter und meist unrealistischer Sinnstiftung verbindet.
Wertschätzende Führung, fairer Umgang mit Beschäftigten und Kunden, schonende Nutzung der Ressourcen und offene und ehrliche Kommunikation über das Unternehmensziel (Ergebnis) sind immer noch entscheidende Voraussetzungen für motivierte Mitarbeiter. Wenn die stimmen, braucht es kein Purpose-Geplapper mehr.

 

 


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