Donnerstag, 20. Juli 2023

Fachkräftemangel ?

Bei der BASF anscheinend nicht 

Bewerbung im Bewerbungsportal für das BASF-Programm "Start in den Beruf". Man lädt die üblichen Bewerbungsunterlagen hoch, schaut sich abschließend die Zusammenfassung auf der entsprechenden Seite an und muss dann die Unterlagen mittels eines Buttons freigeben. Klickt man den Button an, kommt ein Hinweis "Bitte stimmen Sie erst unserer Datenschutzrichtlinie zu". Man blättert an den Anfang, wo man auch die Datenschutzrichtlinie anklicken kann, doch keinerlei Möglichkeit, diese zu bestätigen oder ein Hinweis, was nun zu tun sei. Nach mehrmaligem Hin und Her, telefonische Nachfrage. "Ja, den Fehler kennen wir. Das liegt am System." Die Dame war freundlich und hilfsbereit und hat die Daten dann hochgeladen.
Zwei Tage später Wiederholung der ganzen Prozedur, weil ein Dokument nachgereicht werden musste.
Der Fahler war immer noch nicht behoben.
Fachkräftemangel? Bei der BASF anscheinend nicht. Oder doch? Auf der Homepage ist immerhin zu lesen, dass für dieses Jahr noch über hundert Ausbildungsplätze offen sind.
Die BASF macht ansonsten ansprechende und auch aufwendige Personalwerbung, wie viele andere Unternehmen mittlerweile auch. Aber wenn man es dann mit den Bewerbungsportalen zu tun bekommt, wird es oft phantasielos und teilweise leider auch kompliziert. Es gibt etliche Unternehmen, die die Möglichkeiten der Digitalisierung gut nutzen, aber viele hinken hinterher.
Wenn man sich in den sozialen Medien als interessanter Arbeitgeber präsentiert, gehört ein einfacher, komfortabler und schneller Bewerbungsweg zwingend dazu.

Donnerstag, 13. Juli 2023

Die Ausrede von den "strukturellen Problemen"

Und wie sie von der Frage nach der persönlichen Verantwortung ablenkt

In der Baden-Württembergischen Öffentlichkeit erregen zur Zeit Missstände in der Polizeiorganisation des Landes die Aufmerksamkeit. Ausgelöst durch einen Fall sexueller Nötigung eines ranghohen Beamten gegenüber einer Kommissarin wurden weitere Probleme sichtbar: Tricksereien bei Stellenvergaben, Vetternwirtschaft, mehr oder minder versteckte Drohungen gegenüber Kollegen und Kolleginnen, wenn diese versucht haben, sich gegen Benachteiligungen zu wehren.
Kaum kamen diese Vorwürfe vor einem Untersuchungssauschuss zur Sprache, wird unisonso von "strukturellem Machtmissbrauch" gesprochen, davon, dass "Dinge im Beförderungs- und Beurteilungssystem...dysfunktional" sind. Besonders das letzte Zitat von einem beteiligten Abgeordneten ist kennzeichnend: "Dinge" im "System" funktionieren nicht.
Dabei wird gerade bei dieser Liste von Fehlverhalten deutlich, dass nicht "Dinge" hier versagen, dass nicht "das System" oder "die Struktur" Fehler machen, dass es Menschen sind, die falsch handeln. Klar, im Fall der sexuellen Nötigung wird eindeutig eine Person beschuldigt. Doch auch die anderen Missstände sind menschlichem Handeln zuzuschreiben.
Auch im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche wird gerne von strukturellen Problemen gesprochen. Aber auch hier sind die Taten eindeutig von Personen begangen worden. Die Strukturen der Kirche haben dieses Fehlverhalten begünstigt und dafür gesorgt, dass es kaschiert wurde.
In Organisationen gibt es Hierarchien und Regeln, eine formale Struktur. Parallel dazu gibt es eine sogenannte informale Struktur. Beides zusammen sind dann die strukturellen Bedingungen, die natürlich das Handeln in der Organsiation beeinflussen und die dann auch so gerne zitiert werden.
Nur, eine Struktur, eine Organisation handelt nie selbst. Sie lebt erst durch die Menschen, die in ihr agieren. Alle Regeln, die es gibt, sind irgendwann aus menschlichen Entscheidungen hervorgegangen. Es hängt immer von den Mitgliedern der Organisation ab, was in ihr geschieht oder was nicht.
Die Rede vom "strukturellen Versagen" oder gar vom "System der Angst", wie jetzt bei der Baden-Württembergischen Polizei, hilft nicht weiter. Zuerst muss die Frage gestellt werden: Wer trägt die Verantwortung? und Wer hat die Verantwortung "die Verhältnisse" zu ändern? Wer vom strukturellen Versagen redet, der trägt zunächst einmal dazu bei, die Frage nach der Verantwortung zu umgehen. Gerne werden dann auch "neutrale" Kommissionen oder Untersuchungsausschüsse gebildet, die das Fehlverhalten untersuchen sollen. So wichtig diese im Einzelfall sein mögen, ihre Arbeit muss zur Identifizierung der Verantwortlichen führen. Wenn auch sie als Ergebnis nur strukturelle Defizite beschreiben, dann sollte man erst genauer hinsehen.

Sonntag, 2. Juli 2023

Vier-Tage-Woche

Reizthema - aber eine notwendige Diskussion

Eine Diskussion über die Gestaltung von Arbeitszeit ist immer notwendig. So wie sich Arbeit kontinuierlich verändert, muss auch Arbeitszeit immer wieder neu gedacht werden. Insofern ist es gut, dass das Thema aktuell unter der Überschrift "Vier-Tage-Woche" wieder intensiver diskutiert wird. Nicht gut wäre allerdings, wenn es nur zwischen den Polen "Muss unbedingt sein" und "Kommt überhaupt nicht in Frage" geführt wird.  Diese Polarisierung wird gefördert durch die Forderung "Bei vollem Lohnausgleich".
Um unvoreingenommen zu diskutieren ist es notwendig die Komplexität des Themas zu sehen. 
Es taugt nicht für eine Auseinandersetzung mit plakativen Slogans.
Fangen wir mit dem vollen Lohnausgleich an. Bei der Studie in Großbritannien hat sich offensichtlich gezeigt, dass es Tätigkeiten gibt, die auch bei einer Verdichtung auf vier Tage dieselbe Produktivität erzeugen wie in fünf Arbeitstagen. Wenn dem so ist, kann man diesen Beschäftigten natürlich nicht das Entgelt kürzen. Wenn in vier Tagen genauso viel gearbeitet wird wie in fünf, muss auch das Entgelt dem entsprechen. 
Allerdings würde ich hier eine Langzeitbetrachtung empfehlen. Zeigt sich dieser Effekt nach zwei Jahren auch noch? Da bin ich, ehrlich gesagt, skeptisch. Es gab schon in der Gründerzeit der Betriebssoziologie Experimente, die die Erhöhung der Produktivität durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bewirken sollte. Das funktionierte auch, aber die Produktivität stieg auch dann, als keine Verbsserungen mehr stattfanden. Es spielte offensichtlich eine Rolle, dass die Versuchgruppen das Gefühl hatten, wir stehen im Mittelpunkt. Sie wurden beobachtet, befragt und durften selbst Vorschläge einbringen.
Wie entwickelt sich also die Produktivität in den englischen Betrieben, wenn der Alltag wieder eingekehrt ist? Wenn die vorher eingesparten Meetings doch still und leise wieder zunehmen und länger werden? Wenn die positive Stimmung der Gestaltungsphase verflogen ist und auch die Fehlzeiten wieder zunehmen?
Denn man muss aufpassen, dass die Vier-Tage-Woche nicht zu einer Mogelpackung verkommt. Die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatsphäre verschwimmen immer mehr. Moderne Technologie stellt grenzenlose Erreichbarkeit zur Verfügung. Schon heute häufen sich die Klagen von Beschäftigten auch außerhalb der normalen Arbeitzeit vom Arbeitgeber beansprucht zu werden und es werden Regelungen notwendig, die das verhindern oder zumindest begrenzen. Bei einer Verkürzung der Arbeitzeit dürfte dieses Risiko zunehmen.
Schließlich gibt es Tätigkeiten, die in einer Vier-Tage-Woche nicht dieselbe Leistung erbringen können, wie in fünf Arbeitstagen. Ein Supermarktkassierer kann bei allem gutem Willen und persönlicher und technischer Arbeitsoptimierung in vier Tagen nicht dasselbe leisten wie in fünf, ebenso die Ärztin in der Notaufnahme oder der Lokomotivführer. Soll hier auch der volle Lohnausgleich gelten? Kann man ihn 
dieser Gruppe verwehren, auch wenn sie auf Grund des Charakters ihrer Tätigkeiten dafür nichts kann? 
In jedem Fall würden für diese Jobs bei einer Arbeitszeitverkürzung mehr Leute gebraucht, genau wie in anderen Arbeitsplätzen mit Schichtarbeit. Angesichts eines Arbeitskräftemangels könnte das problematisch sein. Wenn keine oder zu wenig Bewerber da sind, nützt auch die höhere Attraktivität des Arbeitsplatzes wenig.
Diese Gesichtspunkte müssen in eine Diskussion über Arbeitszeit einfließen. Diese muss von Arbeitgebern wie Gewerkschaften sachlich und unvoreingenommen geführt werden. Es gibt genügend Beispiele in der Praxis, die zeigen, dass es möglich ist, die Interessen beider Seiten angemessen zu berücksichtigen.