Freitag, 1. Oktober 2021

Big Brother is watching you

Wie Digitalisierung die Führung verändert

Wenn ich heute beim Getränkeheimdienst - so hieß das in der vordigitalen Zeit - online bestelle, bekomme ich eine minutengenaue Mitteilung, wann meine Getränke geliefert werden. Auch der Paketzusteller teilt mir einen Zeitrahmen mit, wann meine Lieferung zugestellt wird.  
Was für mich als Kunde Komfort sein kann, bedeutet allerdings für die ausführenden Fahrer, dass sie von einem System fast minutiös präzise gesteuert werden. Da sie alle ihre Arbeitsgänge über ein mobiles Terminal abwickeln, liefern sie dem System auch gleichzeitig alle Daten darüber, wie sie ihre Arbeit machen. Wann haben sie Kundenkontakt und wie lange brauchen sie von A nach B? Auch Speditionen arbeiten mit Systemen, die es den Disponenten ermöglichen, die Fahrzeuge auslastungsoptimert zu steuern. Dabei erfahren sie auch nebenbei, wie die Fahrer ihre Strecken bewältigen.
Aus Callcentern sind schon lange Systeme bekannt, die zur Leistungskontrolle der Agents eingesetzt werden. Nicht überraschend macht diese Entwicklung auch vor Bürobereichen nicht Halt.
Mittlerweile gibt es zahlreiche Programme, die das Arbeitsverhalten der Beschäftigten analysieren können. Welche Websites besucht werden, welche Mails an wen geschrieben werden, welche Programme wann und wie lange genutzt werden. All das ist möglich und wird von vielen Unternehmen mittlerweile eingesetzt. Oftmals wird nur notdürftig kaschiert, dass es dabei auch um Leistungskontrolle geht.
Zwangsläufigerweise wird das Führung verändern. Führung wird sich konzentrieren auf die Kontrolle von Kennzahlen. Das Entscheidende aber ist, dass diese Kontrolle nicht mehr persönlich ausgeübt werden muss. Dem Beschäftigten werden die Sollwerte - oder sollte man besser sagen: Musswerte - über das System zugespielt und seine Ist-Leistung dem gegenübergestellt. Er/sie sieht in Echtzeit ein mögliches Defizit und wird so motiviert gegenzusteuern. Self Tracking nicht nur für die persönliche Fitness, sondern auch für die Performance bei der Arbeit.
Von diesem Trend werden auch Tätigkeiten nicht verschont, bei denen es auf den ersten Blick wenig an quantifizierbaren Elementen gibt. Wenn man sich ansieht, was alles so an Kennzahlen in Zielvereinbarungen einfließt, kann einem Angst und Bange werden.
Führungskräften, die sich schwer tun mit persönlichem Feedback - und das sind nicht wenige -, wird das entgegenkommen. Sie können sich auf die Kontrolle der Kennzahlen beschränken und wer längerfristig im Ranking auf den hinteren Plätzen landet, wird der Personalabteilung als Minderleister vor die Tür gestellt.
Auch wenn es nicht ganz so schlimm kommt, kann man davon ausgehen, dass Führung weiter entpersonalisiert wird. Das passt im übrigen gut zum immerwährenden Wunsch nach Reduzierung von Hierarchie. Wo auch die Kontrolle über die eigene Leistung immer mehr dem Beschäftigten überlassen wird, braucht man weniger Führungskräfte. Die von vielen erträumte und herbeigeredete Selbstbestimmung wird so zum schicken Deckmantel unter dem ein subtiles Instrumentarium zur Erhöhung des Leistungsdrucks wirkt.
 
 
 
 

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