Donnerstag, 6. Mai 2021

New Work im Reality Check

Freiheit funktioniert nur in Maßen

Mit diesen Headlines betitelt der humanresourcesmanager - Newsletter die Erfahrung, die Herr Behn, seines Zeichens CEO der Celebrate Company, mit dem gemacht hat, "was man unter New Work versteht".
Das erste Drittel des Artikels beinhaltet die Erfahrungen mit der Abschaffung hierarchischer Strukturen und Prozesse, in den zwei anderen Dritteln geht es um das Verhältnis von Home Office - und Office - Arbeit, also dem, was man heute hybrides Arbeiten nennt.
F. Bergmann, dem geistigen Vater des New Work Geblubbere, dürfte diese Verkürzung seiner Idee nicht ganz recht sein, ginge es ihm doch um nichts Geringeres als den Weg dafür zu bereiten, dass die Beschäftigten, das machen können "was sie wirklich, wirklich wollen" - was immer das dann sei.
Gehen wir also davon aus, dass die Celebrate Leute sich intensiver damit auseinandergesetzt haben, wie der Artikel es hergibt und konzentrieren wir uns auf die Erfahrungen mit dem Abbau der Hierarchie.
"Wir haben die Abteilungsstruktur aufgelöst, cross-funktionale Squads und fachliche Chapters geschaffen. Gleichzeitig haben wir sehr konsequent hierarchische Strukturen und Freigabeprozesse abgeschafft."
Und was war die Erfahrung? "....(es) hat sich schnell gezeigt, dass viele nicht mir der neugewonnenen Freiheit umgehen konnten. Manche wollten plötzlich gar keine Entscheidungen treffen, anderen fehlte schlichtweg der Mut. Wieder andere trafen übereilte Entscheidungen und nur wenige konnten mit der Verantwortung umgehen, die sie ganz automatisch mit der Freiheit mitbekommen hatten."
Was war die Konsequenz? "Heute haben wir eine sehr freiheitliche Kultur, in der wir laterale Führungsrollen implementiert haben. Führung ist verteilt und wird situativ gelebt. Jeder im Team kann Führung übernehmen und zwar durch Überzeugungskraft und nicht durch Anweisung."
Leider sagt Herr Behn nichts dazu, wie das in der Praxis aussieht. Was ist eine "laterale Führungsrolle"? Was passiert mit denen, die vorher nicht den Mut hatten, Entscheidungen zu treffen, wenn das andere "durch Überzeugungskraft" übernehmen? Was ist, wenn die Überzeugungskraft nicht mit genügend Kompetenz unterfüttert ist?
Wie in vielen Berichten über derartige organisatorischen Experimente findet man leider zu diesen Alltagsfragen keine genaueren Angaben. Auf der Homepage des Unternehmen gibt es auch keine Information zu der Zahl der Mitarbeitenden. Mutmaßlich liegt die aber deutlich unter der Tausendergrenze. Von daher ist es schon verwunderlich, dass man bei einer solchen Größenordnung überhaupt Hierarchie reduzieren muss. 
Die Abkehr von traditionellen Formen der Zusammenarbeit wird natürlich auf der Homepage vollmundig angepriesen, andererseits liest man, dass es Coaches, Chapter Leads und auch ein Development Team gibt. So ganz ohne Strukturen scheint es doch nicht zu gehen. Angesichts fehlender Detailinformation kann man auch hier einen ähnlichen Effekt vermuten, wie bei dem Instrumentarium, das im Rahmen der sogenannten agilen Organisation zur Anwendung kommt. Zwar werden traditionelle Hierarchien reduziert, doch in der Verkleidung einer schicken Begrifflichkeit werden neue aufgebaut, die nicht weniger wirkungsvoll sind. Auch vorgebliche Selbstbestimmung befreit nicht von Leistungsdruck.

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