Organisationen können nicht lernen.
Der Spruch von der lernenden Organisation suggeriert, man könne in sie gewissermaßen einen Automatismus einbauen, der kontinuierliches Lernen der Organisation sicherstellt. Organisationen werden jedoch von den in ihr handelden Menschen am Leben gehalten. Wenn also jemand lernen muss, dann die Mitglieder der Organisation. Nun kann man den Beschäftigten in unserem Fallstudienunternehmen (s. Teil I) nicht unterstellen sie seien gänzlich lernunfähig. Wie gesagt, handelt es sich um eine sehr gut qualifizierte Belegschaft mit insbesondere hoher technischer Kompetenz. Auch investiert das Unternehmen kontinuierlich in die Weiterbildung und Personalentwicklung seiner Beschäftigten. Warum gelingt es trotzdem nicht, auch "Lernsprünge" zu erzielen, die grundsätzliche Defizite beheben?Es muss offensichtlich Beharrungstendenzen in Organisationen geben, die bestimmte Verhaltensmuster konservieren, weitgehend unabhängig von den handelnden Personen. Hier kommen wir an das Phänomen, das gemeinhin als Unternehmenskultur bezeichnet wird. Dass Kultur nicht nur ihre positiven Seiten hat, sehen wir an unserem Beispiel.
Welches sind dort die kritischen Verhaltensmuster? Eines davon kann man mangelnden Mut zur Einfachheit nennen. Das hat vielleicht damit zu tun, dass das Unternehmen ingenieurgeprägt ist. Die Angehörigen dieser Zunft mögen es mir verzeihen. Wenn der Ingenieur eine Maschine plant, erstellt er einen detaillierten Konstruktionsplan, der genau vorgibt, wie die Maschine funktioniert, welche Teile man dafür braucht und in welcher Reihenfolge man sie zusammenbauen muss. Dabei muss der Konstrukteur auch versuchen, mögliche Risiken, die die Funktionsfähigkeit beeinträchtigen könnten zu bedenken und zu vehindern. Was für die Konstruktion von Maschinen gut ist, taugt aber in vielen Fällen nicht für unternehmerische Entscheidungen. Die kann man häufig nicht mit einem detaillierten Plan vorbereiten, sei es aus Zeitgründen oder aus Unkenntnis über die Rahmenbedingungen. Man kann sich nur, um im Bild zu bleiben, oft mit einer Bleistiftskizze helfen. Menschen, die sich damit schwer tun - und das sind nicht nur Ingenieure - fällen auch schwer Entscheidungen und betreiben eine ausufernde Risikominimierung. Im Alltag zeigt sich das an den Mailverteilern und der Anzahl von Besprechungsteilnehmern.
In diesem Klima gedeiht auch Opportunismus. Wenn ich mich der Meinung des Herrn Direktors anschließe, mache ich nichts falsch und muss nachher keine Verantwortung übernehmen. Besonders schlimm ist Opportunismus in seiner aktiven Variante. Wenn bewußt gebuckelt und auch geschleimt wird, um die eigene Entwicklung voran zu treiben. Das, was "von oben" kommt, wird nicht mehr hinterfragt, zumindest nicht öffentlich. Kritische Diskussionen verkümmern. Wenn dann noch ein Sparprogramm kommt, das zehn Prozent Personal einsparen soll, wird der Mut zur offenen Wortmeldung noch weniger gefördert.
Nach meinem Eindruck kann die Lernfähigkeit einer Organisation auch dadurch beeinträchtigt werden, dass Führungskräfte zu ausgeprägt aus den eigenen Reihen befördert werden. Wenn phasenweise der gesamte Vorstand und dazu noch etliche Topmanager seit Jahrzehnten im Unternehmen sind, entsteht ein organisatorischer Tunnelblick. Der Blick über den Zaun, auch um Anregungen von ganz anderen Branchen zu holen, ist fast verpönt. Den Satz "Für uns gelten ganz besondere Bedingungen." hört man auch in unserem Fallstudienunternehmen immer wieder.
Die Lernfähigkeit einer Organsation ist zwar von den handelnden Personen abhängig. Wenn es diesen aber gelingt bestimmte Verhaltensweisen "kulturell zu stabilisieren", dann kann eine Organisation tatsächlich über einen längeren Zeitraum lernfähig und damit auch innovativ gehalten werden.
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