Freitag, 28. Juli 2017

Mythos Authentizität

"Sie einfach nur du selbst"

Einer der am meisten gehandelsten Bewerbungstipps. Und gleichzeitg einer der falschesten. "Authentisch rüberkommen" stört nirgendwo mehr wie im Vorstellungsgespräch. Was wird denn dort verlangt? Man soll auf ein Anforderungsprofil passen. Zusätzlich muss man aber auch dem Bild entsprechen, das sich die Auswählenden von dem künftigen Stelleninhaber  (m/w) gemalt haben. Je nach deren Professionalisierungsgrad kann das mehr oder minder sachlich unvoreingenommen ausfallen. Clevere Bewerber werden also versuchen sich dem, so gut es geht, anzupassen und die Persönlichkeitseigenschaften in den Vordergrund zu stellen, die ihnen am besten dazu zu passen scheinen. Den Interviewern geht es allerdings nicht anders. Auch sie versuchen sich und die Firma im positiven Licht darzustellen. Ein Vorstellungsgespräch ist also keine Situation, die authentisches Verhalten besonders fördern würde, trotz aller gegenteiligen verbalen Beteuerungen.
In den Casting ähnlichen Auswahlverfahren für Stewardessen der Lufthansa (s. ZEIT Nr. 30, 20.7.) wird offenbar permanent vom "authentisch sein" geredet, obwohl genau das Gegenteil verlangt wird. Die Bewerberinnen müssen einem ganz bestimmten Freundlichkeitsklischee entsprechen. Und wer Stewardessen bei der Arbeit beobachtet, merkt schnell wieviel Raum für Authentizität dieser Job bietet.
In jedem Job wird zunächst erwartet, dass man eine Rolle spielt. Authentisch darf man dabei nur sein, wenn es der Rolle zugute kommt. Für einen selbst kommt es darauf an, dass man sich oder Elemente seiner Persönlichkeit und auch die Werte, nach denen man lebt, nicht verleugnet. Das kann durchaus mit einer guten Selbstpräsentation vereinbar sein.

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