Freitag, 9. Januar 2015

Holacracy

Wenn sie diesen Begriff kennen und auch noch wissen, was er bedeutet, dann dürfen sie sich zu den Menschen zählen, die auf einem aktuellen Stand der Management-Themen-Diskussion sind. Möglicherweise laufen sie aber auch Gefahr, allzu schnell auf jedes Brett zu springen, das meist selbst ernannte Gurus in die Medien halten. Dann haben sie sicher auch schon von dem "zweiten Betriebssystem" gehört, das durch einschlägige Fachartikel geistert. Beide Begriffe stehen für eine Modeströmung - die Protagonisten der Bewegung mögen es mir verzeihen - die die Überwindung der Hierarchie in Unternehmen in Aussicht stellt. Agile Strukturen werden verkündet und wieder einmal oder immer noch  wird das Netzwerk als die Alternative zur Hierarchie gepriesen.
Nichts weniger als die Beteiligung der Mitarbeiter an den Entscheidungen soll der Königsweg der Zukunft sein, mehr Basis - Demokratie auch im Unternehmen. Das ich die Möglichkeiten zur Demokratisierung in Unternehmen für eher begrenzt halte, habe ich hier früher schon einmal erwähnt ( s. Post vom 11.8.14). Doch für die, die von Holacracy noch nichts gehört haben, eine Erläuterung aus Wikipedia: von einem amerikanischen Unternehmer "entwickelte Systemik, die Entscheidungsfindung in großen Netzwerken und vielschichtigen Unternehmen eine günstige Struktur gibt".
(Übrigens auch ein Beispiel dafür, wie wenig differenziert und fundiert Wikipedia-Artikel sein können.) Kennzeichen dieses Ansatzes ist, dass Autorität, die sonst bei Führungspersonen liegt, auf Kreise verteilt wird. Jeder Kreis wählt einen oder mehrere Vertreter in den nächsthöheren und auch in den nachgeordneten. Entscheidungen werden dann in diesen Kreisen getroffen. Es gibt offensichtlich auch Unternehmen, die nach dieser Moethode organisiert sind. Wie das genau in der Praxis aussieht und funktioniert, kann ich nicht beschreiben. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wie man auf diese Weise einen Konzern organisieren kann. Einfach und transparent scheint mir die Methodik nicht zu sein.
Diese Diskussionen um Demokratisierung im Unternehmen, dieser Traum von der Partizipation passt durchaus in die aktuelle Stimmungslage vieler. Auf der politischen Ebene sprechen Soziologen von einer Zeit der Postdemokratie, in der wir leben. Es gibt in der politischen Mitte kaum mehr unterscheidbare Positionen, Auseinandersetzungen finden wahrnehmbar nicht mehr statt. Entscheidungen werden als alternativlos dargestellt. Darum sehen viele, seltsamerweise auch Politiker selbst, das Heil in einer verstärkten Bürgerbeteiligung. In gängigen Unternehmen und meist auch in anderen bürokratischen Organisationen gab es noch nie wirkliche Demokratie. Darum hat hier die Diskussion um Mitbestimmung, Mitentscheidung, Überwindung von Hierarchie auch eine lange Tradition. Und es ist durchaus kein Widerspruch, dass diese Diskussionen in einer Zeit wieder aufflammen, in der gleichzeitig die globale Ausdehnung von Konzernen und deren Verselbständigung von nationalen, politischen Beeinflussungsmöglichkeiten beklagt wird. Nur macht es auch deutlich, wie unwirklich sie sind. Durch die Einrichtung von holacratischen Kreisen fördert man noch keine wirkliche Demokratisierung. Allein schon die Unterscheidung in "höhere" und "untere" Kreise macht deutlich, dass es auch in dieser Welt ein Oben und ein Unten gibt und dass man offensichtlich ohne eine gewisse Hierachie nicht auskommt.

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