Montag, 4. November 2013

Kennzahlen messen nicht die Realität

Ich beschäftige mich hier ja gerne mit dem Sinn und Unsinn von Kennzahlen in ihren verschiedenen Verwendungszwecken. Leider nimmt offensichtlich auf diesem Gebiet der Unsinn zu. Ein "schönes" Beispiel für eine nichtssagende Bewertungskennzahl ist die Beurteilung von Altenheimen. Öffnen Sie eins der mittlerweile mehrfach angebotenen Portale um in ihrer räumlichen Nähe ein Altenheim zu finden und sie bekommen eine Liste von derartigen Einrichtungen, die mit einer Beurteilung nach Schulnoten versehen sind. Sie werden begeistert sein: alle Heime haben eine Bewertung zwischen 1 und 2. Sehr viele sogar 1,0. Sollten sie auf ein Haus stoßen, das nur mit 2,8 benotet ist, werden sie es möglicherweise nicht in die engere Wahl nehmen. Wenn sie sich aber dann die Mühe machen, besuchen dieses Heim und vergleichen es mit den Eindrücken, die sie aus besser bewerteten haben, werden sie sehr wahrscheinlich keinen Unterschied feststellen, eventuell gefällt ihnen dieses Haus sogar besser.

Hier ist genau das passiert, was die Verehrer von Messbarkeit und Kennzahlen nie wahr haben wollen: Das was gemessen wird, gibt nicht die Realität wieder. Aus einer umfangreichen schriftlichen Dokumentation, die auf standardisierten Fragen beruht, wird eine Kennzahl ermittelt. Die Dokumentation wird wichtiger als das, was sie dokumentieren soll. Geprüft wird am Ende die Dokumentation und nicht die Realität. Für den, dem die Kennzahl Orientierung geben soll, ist sie nutzlos. Schlimm wird es allerdings dann, wenn derart ermittelte Zahlen Grundlage für weitergehende Entscheidungsprozesse sind. Sicher ist das Altenheimbeispiel besonders kritisch zu sehen. Aber auch viele Zertifizierungsprozesse, die in Unternehmen üblich sind, müssen sich dieser Kritik aussetzen, selbst wenn sie durch Audits in den Betrieben ergänzt werden. Insbsondere gilt dies für Zertifizierungen, die "softere" Sachverhalte wie Work-Life-Balance, Betriebsklima oder ähnliches bewerten. Durch festgelegte, standardisierte Kriterien können sie nur eingeschränkte Aussagen über die komplexere betriebliche Realität machen.
Üblicherweise verursachen Zertifizierungen auch Aufwand für die Erstellung der Dokumentation und kosten Geld. Gründe genug also, vorher genau zu prüfen, ob man sich das antun will.
Ich möchte nicht wissen, wieviele Altenheimleiter mittlerweile diese Bewertungskennzahl in ihren Zielvereinbarungen stehen haben.

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